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Mehr als ein Drittel der Auszubildenden zur Pflegefachkraft bricht die neue Ausbildung ab, so das Ergebnis einer Befragung. Woran liegt das und wie sieht es in Esslingen aus? Klinikum und Pflegeheimträger ziehen ein Fazit zum ersten Jahrgang.
Judith Ramadani ist 48 Jahre alt, als sie mit der Ausbildung zur Pflegefachfrau etwas Neues wagt. Genauer: viel Neues. Angestellt ist Ramadani zwar im Pflegeheim in der Esslinger Pliensauvorstadt. Doch nach knapp drei Jahren Ausbildung hat die 51-Jährige auch drei Monate auf der Neurologie im Esslinger Klinikum gelernt, war im ambulanten Dienst, in der Pädiatrie und Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Mit dem Pflegeberufegesetz im Jahr 2020 hat die damalige Bundesregierung die drei Ausbildungen in Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege zu einer generalistischen Ausbildung zusammengefasst. Im Kreis Esslingen ist Ramadani unter den ersten Jahrgängen, die die reformierte Ausbildung bald abschließen – Anlass für den Bundesverband kommunaler Senioren- und Behinderteneinrichtungen, mit einer Studie erste Bilanz zu ziehen. Repräsentativ ist diese zwar nicht, doch sie fällt aus Sicht der Altenpflege bitter aus: Wer bis zur Abschlussprüfung durchhalte, bestehe zwar meist (83 Prozent). Doch fast 34 Prozent der Auszubildenden im Jahrgang 2020 haben die Ausbildung schon zuvor abgebrochen. Befragt wurde für die Studie in 37 Pflegeheimen deutschlandweit.
Sechs von zwölf Azubis haben die Ausbildung abgeschlossen
Die Ergebnisse spiegeln sich in Esslingen wider, sagt Thilo Naujoks, Geschäftsführer der fünf städtischen Pflegeheime. Von den zwölf im ersten Jahrgang gestarteten Azubis hätten nur sechs die Ausbildung abgeschlossen. „Wenn nur die Hälfte übrig bleibt, ist das erschreckend. Früher hatten wir bei der Altenpflegeausbildung über 90 Prozent erfolgreiche Absolventen. Das gab Sicherheit für die Planung. Die ist jetzt weg“, sagt Naujoks. Mit den Azubis könnten Wechsel im Personal nicht mehr ausgeglichen werden. Die hohe Abbrecherquote verschärfe die Lücke an Fachkräften. Noch hat Naujoks aber Hoffnung, dass der Jahrgang eine Ausnahme bleibt, dass die Abbrüche auch dem schwierigen Arbeiten und Lernen in der Corona-Pandemie geschuldet sind.
Doch zugleich stellt Naujoks bereits fest, dass einige Auszubildende überfordert sind: „Für manche sind die Stationen in allen Pflegebereichen ein toller Anreiz. Andere scheitern daran.“ Zu hohe Anforderungen gehören laut Befragung neben persönlichen Gründen zu den häufigsten Ursachen für Abbrüche. Ausbildungsbetriebe hätten trotz Fachkräftemangel wegen unzureichender Leistungen oder zu hoher Fehlzeiten Azubis entlassen. Schwieriger und für manche zu schwierig sei die Ausbildung geworden, sagt auch Petra Simon, die im Raum Neckar-Fils die Altenhilfe des diakonischen Trägers Dienste für Menschen leitet. Dienste für Menschen betreibt Pflegeeinrichtungen in Esslingen, Köngen und Ebersbach/Fils. Drei von fünf Azubis seien im ersten Jahrgang durchgekommen. Zwei hätten die Lehrzeit verlängern müssen. „Noch ist es zu früh, ein Fazit zu ziehen. Aber Kollegen aus anderen Kreisen beklagen höhere Abbruchquoten“, sagt Simon. Im Klinikum Esslingen sieht man es anders. Auch dort stellen die Verantwortlichen Überforderung fest. Doch Abbrüche sieht Anne Deschner, Leiterin der Schule für Pflegeberufe, nicht in der neuen Ausbildung begründet: „Wer vorher nicht über ein Praktikum oder Freiwilligendienst in den Beruf hineinschaut, weiß oft wenig über das Berufsbild und merkt: Das ist nichts für mich.“
Verschärft werde die neue Planungsunsicherheit durch Wechsler, sagt Thilo Naujoks. Dass Absolventen als Generalisten weniger an den Pflegebereich gebunden sind, in dem sie ihre Ausbildung begonnen haben, geht laut Studie bisher zulasten der Altenpflege: Von 517 befragten Azubis hätten 29 gewechselt – davon 25 weg von der Altenpflege. Trotzdem sieht Naujoks die Wechselmöglichkeit positiv: „Junge Menschen wollen sich nicht mehr jahrzehntelang an einen Arbeitgeber binden. Wechsel zu erleichtern, macht den Beruf attraktiver.“ Zuvor hätten Altenpfleger nur Helferaufgaben im Krankenhaus übernehmen dürfen, sagt Petra Simon: „Das befriedigt keinen. Jetzt stehen die Türen offen. Ich hoffe, das hält Menschen länger im Pflegeberuf.“
Konsequenzen haben die Esslinger Pflegeausbilder bereits nach einem Jahrgang gezogen. Bei Dienste für Menschen gehe man mit Wackelkandidaten ins Gespräch und biete an, die Ausbildung zu verlängern. Um Abbrüche auszugleichen, hat man bei den städtischen Pflegeheimen die Zahl der Ausbildungsplätze aufgestockt. „Noch mehr Plätze sind aber nicht möglich, sonst leidet die Ausbildungsqualität“, sagt Thilo Naujoks.
Das Klinikum Esslingen hat ein Nachschulungsprogramm entwickelt. Spezialthemen wie der Umgang mit Frühchen oder Demenzkranken kämen jetzt zu kurz – das kritisieren Klinikum und Pflegeheime. „Man kann nicht drei Ausbildungsgänge im gleichen Zeitraum mit gleichem Inhalt in einen setzen“, sagt Anne Deschner. Sie fordert mehr und bundesweit einheitliche Weiterbildungsangebote. Dass die Auszubildenden nun mehr sehen, bedeute auch, dass sie weniger machen dürfen, merkt zudem Petra Simon an: „Früher hat man schneller spritzen gelernt und durfte selbstständiger arbeiten.“
Judith Ramadani wird in dieser Woche ihre letzte Prüfung abschließen. Besteht sie, will sie in der Altenpflege bleiben. Anstrengend sei die Ausbildung gewesen: „Die Abläufe unterscheiden sich auf allen Stationen. Man muss sich reinhängen. Dann bringt die Ausbildung fachlich und persönlich viel.“ (jag)