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Wandergesellin Caro macht Station in Esslingen

Foto: Rainer Kellmayer

Wenn sich eine junge Frau nach der Gesellenprüfung auf Wanderschaft begibt, erfordert dies eine gehörige Portion Mut. Diese Courage hatte Caro: Die aus Hamburg stammende Tischlergesellin ist seit mehr als drei Jahren auf der Walz.

Die 28-Jährige ist zu Fuß und per Anhalter weit herumgekommen. „Ich bin quer durch Deutschland gereist und habe in verschiedenen europäischen Ländern gearbeitet.“ Toll sei es in Dänemark, Schweden, Frankreich und der Schweiz gewesen, erzählt die Wandergesellin. Sie habe jedoch auch in Tschechien, Ungarn, Rumänien und Polen sehr schöne Erlebnisse gehabt und viele berufliche Erfahrungen gesammelt. Und wie funktionierte es mit der Kommunikation? „Mit Englisch konnte ich mich ganz gut verständigen, ansonsten halfen Hände und Füße“, erzählt die Weitgereiste.

Da bei Wandergesellen der Familienname keine Rolle spielt, bezeichnet sich Caroline Tamm als „Caro, fremde freireisende Holzmechanikerin“. So stellte sie sich vor zwei Wochen auch bei der Esslinger Firma Gaiser & Fieber vor, deren Schwerpunkt auf Glasgestaltung und Glasmalerei liegt.

Für Rolf Bay, den Firmeninhaber, war sofort klar: Für eine begrenzte Zeit kann Caro bei ihm arbeiten. „Die Beschäftigung von Wandergesellen ergibt eine Win-Win-Situation“, sagt Rolf Bay. Der Betrieb könne von den vielschichtigen Erfahrungen der Gesellen profitieren, und diese wiederum würden Neues kennenlernen.

Für Wandergesellen gibt es strenge Regeln: Die Walz muss mindestens drei Jahre und einen Tag dauern. Während dieser Zeit darf der Bannkreis von 50 Kilometer um den Heimatort nicht betreten werden. Gereist werden darf nur zu Fuß oder per Anhalter, und auch auf ein Handy, Tablet oder andere elektronische Geräte müssen die Wandernden verzichten. Übernachtet wird unter freiem Himmel oder in Pfarr- und Kolpingshäusern. Während der Geselle bei einer Firma arbeitet, muss diese für Unterkunft und Verpflegung sorgen.

Trotz aller Regeln und Einschränkungen hat Caro den Entschluss, auf Wanderschaft zu gehen, zu keiner Sekunde bereut: „So frei und selbstbestimmt werde ich nie wieder sein“, beschreibt die 28-Jährige ihre Walz. Mit Vorurteilen aufzuräumen, ist der jungen Frau wichtig: „Jedes Handwerk – ob traditionell oder modern – kann auf Wanderschaft gehen. Dieser Weg steht auch Frauen offen.“ Ohnehin sind die Frauen unter den derzeit etwa 600 Wandergesellen im deutschsprachigen Raum mit 20 Prozent im Aufwind.

Mit ihren wechselnden Arbeitgebern hat Caro bisher jedenfalls zumeist Glück gehabt. Nur einmal wurde sie in der Schweiz bei der Vorsprache von einem Betrieb abgewiesen. In Esslingen fühlt sich die junge Frau, die nach dem Abitur 2016 in Hamburg mit einer Tischlerlehre begonnen hat, bei der Firma Gaiser & Fieber sehr wohl. Die Chemie habe sofort gestimmt. „Es ist toll hier im Betrieb. Wir sind ein super Team“, sagt die Handwerkerin begeistert.

Beide Seiten sehen das Miteinander positiv: „Ich bin mit Caro sehr zufrieden. Sie ist offen für die Herausforderungen des Glasbau-Handwerks und arbeitet hervorragend mit“, lobt Bay. Als Handwerksmeister sieht er es als eine seiner Aufgaben an, Wissen und Können weiterzugeben. Umgekehrt brächten die Erfahrungen der weit gereisten Gesellin dem Betrieb frische fachliche Impulse.

Das Spezialgebiet von Caro sind historische Türen. Da diese oft in Verbindung mit Glaselementen stehen, hat sie gezielt nach einer Firma in der Glasverarbeitung gesucht. Über den Tipp eines befreundeten Wandergesellen ist sie schließlich in Esslingen gelandet. „Ich kann bei Gaiser & Fieber mein Wissen in diesem Gewerk wesentlich erweitern. Die Arbeit hier bereichert meinen Horizont und bringt mich beruflich ein gutes Stück weiter“, sagt die Tischlerin. Und wie wird es weitergehen? „Demnächst habe ich einen speziellen Auftrag in Tübingen. Dort kann ich bei der Restaurierung einer historischen Tür mein neu gewonnenes Wissen bereits anwenden“, sagt Caro, die nach vier aufregenden Jahren auf der Wanderschaft im Frühjahr nach Hamburg zurückkehren möchte. Auch zu Hause hat sie sich einiges vorgenommen: „Dann werde ich mich auf die Meisterprüfung vorbereiten.“ (kell)