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Licht und Schatten der Frühlingsgefühle

Foto: Roberto Bulgrin

Die kalte Jahreszeit ist endgültig vorbei. Zwischen blühenden Pflanzen und herumtollenden Jungtieren erwachen auch die Menschen mehr und mehr zu neuem  Leben, wenn die Temperaturen steigen und die Tage länger werden. Gerne ist dann umgangssprachlich von Frühlingsgefühlen die Rede. Gemeint ist damit, dass allgemein die Laune steigt, die Motivation – und auch der Sexualtrieb. 
„Eine eindeutige wissenschaftliche Datengrundlage hierfür gibt es nicht“, sagt Björn Nolting, Chefarzt der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum Esslingen. Allerdings gibt es verschiedene Ansätze, um die gefühlten  Phänomene im Frühjahr zu erklären.
„Wie bei der modernen Behandlung einer Depression oder anderer psychischer Krankheiten bevorzuge ich dabei einen bio-psycho-sozialen, also ganzheitlichen Ansatz“, sagt Nolting. Das bedeutet, dass neben biologischen Vorgängen im Körper des Betroffenen auch äußere Einflüsse wie  das soziale Umfeld  und die Lebensgeschichte beachtet werden. 
Im Frühling werden die Tage länger. Die Helligkeit sorgt dafür, dass weniger Melatonin produziert wird, erklärt der Mediziner. Dabei handele es sich um ein Schlafhormon, das Müdigkeit fördert und so Schlaf begünstigt. Allerdings blockiere auch elektrisches, künstliches Licht das Hormon. Im modernen Lebensalltag sei der Einfluss der Tageslänge also zu relativieren. „Ganz ähnlich verhält es sich mit sogenannten Glückshormonen wie Serotonin und Dopamin“, sagt Nolting. Durch mehr Licht werde die Produktion im Körper angeregt. Auch der Vitamin-D-Spiegel ist vom Licht abhängig und dementsprechend im Winter nachweislich niedriger. „Das Hormonsystem ist jedoch ein sehr komplexes“, erklärt der Experte, „da ist jeder Mensch auch ein Stück weit individuell.“ Nichtsdestotrotz wird bei der Behandlung von Depressionen bei manchen Betroffenen erfolgreich auf Lichttherapie gesetzt. Dies könne einige Aspekte ersetzen, die ansonsten das Sonnenlicht liefere – ein Effekt kann schon nach kurzer Dauer bemerkbar sein. 
„Allein vom Wetter wird man jedoch nicht depressiv“, sagt Nolting. Dabei spielten stets auch andere Faktoren, etwa die genetische Veranlagung oder die jeweilige Lebenssituation eine Rolle. So habe auch die Pandemie einen Einfluss auf die geistige Gesundheit, die Arbeit im Homeoffice und damit verbunden die zunehmende Isolierung und Einsamkeit könne etwa bei manchen Personen  eine Depression begünstigen. „Das äußert sich etwa darin, dass der Behandlungsbedarf unter Kindern und Jugendlichen in den vergangenen beiden Jahren zugenommen hat“, sagt der Experte. 
Auf der anderen Seite könne genauso wenig   der Frühling allein eine Depression heilen. Schließlich handele es sich dabei um eine komplexe Krankheit – unter dem Begriff Depression lassen sich die verschiedensten Krankheitsbilder zusammenfassen. Positive Eindrücke liefern –  auch auf nicht depressive Personen –  könne die Jahreszeit dagegen durchaus. Neben Veränderungen im Hormonhaushalt können auch die vielen neuen Reize anregend wirken. 
Die Bienen und andere Insekten beginnen zu summen, während wieder mehr Vögel singen. Auch die Pflanzenwelt blüht im wahrsten Sinne des Wortes neu auf und setzt neben Gerüchen durch die knalligen Farben auch optische Akzente in der vormals so grauen Winterwelt.  „All das wirkt auf unser Gehirn anregend“, sagt Nolting. 
Gerade in diesem Jahr fielen zudem  zahlreiche Lockerungen von Coronaregelungen mit dem Frühlingsanfang zusammen. „Auch das tut uns gut. Man darf nicht vergessen, dass der Mensch im Grunde ein soziales Wesen ist“, sagt Nolting. Wenn wir also wieder mehr andere Menschen sehen können, mehr Freiheiten genießen, so wirkt auch das positiv auf unsere geistige Gesundheit, macht der Mediziner deutlich. 
Auch Sport tut dem Körper  gut, setzt wiederum Glückshormone frei und sorgt so für eine gehobene Stimmung. Häufig finde man bei Sonnenschein auch dafür einfacher die Motivation.„Man darf allerdings auch nicht vergessen, dass es auch eine Kehrseite gibt“, mahnt Nolting. So gebe es auch saisonale Depressionen, etwa die Frühlingsdepression: Wenn Betroffene ohnehin schon das Gefühl der Insuffizienz haben, also glauben nicht mithalten zu können, könne diese Wahrnehmung noch verstärkt werden, wenn andere Menschen im Frühling besonders aufblühen, während einem selbst wegen der Krankheit vielleicht schon die Kraft fehle, um aus dem Bett zu kommen.  
In jedem Fall rät Nolting in Phasen, in denen man sich schlecht oder ungenügend fühlt,  das Gespräch mit Vertrauten zu suchen. Eine Isolation würde eine Depression eher begünstigen. Zudem sei es wichtig, die Krankheit und deren Symptome nicht zu tabuisieren.

Das Wetter und die Psyche 

Viele Wissenschaftler untersuchen den Einfluss des Wetters auf die psychische Gesundheit. So konnte etwa eine Studie niederländischer Forscher keine grundlegenden Zusammenhänge zwischen dem Auftreten von Depressionen und schlechtem Wetter entdecken. Auch für positive Frühlingsgefühle gibt es keinen eindeutigen Nachweis, die Geburtenrate beispielsweise ist in Deutschland im September am höchsten. 
Auf manche Menschen kann der Frühling auch negativ wirken. Bei der sogenannten Frühjahrsmüdigkeit gehen Experten davon aus, dass die Umstellung des Hormonhaushalts und Stoffwechsels für bis zu zwei Wochen anhaltende Müdigkeit und Antriebslosigkeit führt. Wenn diese und ähnliche Symptome länger anhalten, kann dagegen auch eine saisonale Depression vorliegen. Die genauen Symptome können dabei vielfältig sein. Bei der Depression handelt es sich um eine psychische Krankheit, diese kann von Spezialisten entsprechend behandelt werden.