Foto: Roberto Bulgrin
Der flotte Maibaum sieht gar nicht mehr so flott aus. Der lange Lulatsch hat mächtig Schlagseite, und auch die internationalen Flaggen an seinem Schaft hängen schief, krumm, kreuz und quer in den Halterungen. Schade. Denn ein schmückendes Element wie der schmucke Maibaum stünde dem Bahnhof in Mettingen gut zu Gesicht. Die beiden Wappen am Eingang mit den Jahreszahlen 1922/1923 zeugen von einer historischen Vergangenheit. Doch die Gegenwart ist nicht perfekt. „Schmutzig“ sei die S-Bahn-Haltestelle an der Cannstatter Straße, urteilt ein 42-Jähriger, der seinen Namen nicht nennen will. Er lebe erst seit drei Monaten in Mettingen, erzählt er weiter, zuvor habe er im Rems-Murr-Kreis gewohnt, und dort sei alles wie aus dem Ei gepellt. Tipptopp. Doch der Bahnhof hier: „Eine einzige Katastrophe“.
Ein anderer Passant sieht es nicht ganz so dramatisch. Er ist hier alt eingesessen, wohnt seit Anfang der 1970er-Jahre in dem Esslinger Stadtteil und hat den Bahnhof schon in verschiedenen Präsentationsformen erlebt: „Derzeit ist der Eindruck passabel.“ Viel schlimmer findet der 82-Jährige das Falschparken an den Straßen rund um den Bahnhof. Teilweise seien das keine Anlieger-, sondern „Anlügerstraßen“, lästert er. Fahrgäste, Passagiere der S-Bahn, Arbeitnehmer oder Besucher würden hier parken, obwohl es nur dort Wohnenden gestattet sei. Eine Dame habe ihm auf seine Vorhaltungen hin sogar dreist ins Gesicht gesagt: „Ich zahle in Deutschland Steuern. Also kann ich auch parken, wo immer ich will.“ Doch immerhin, ganz so schwarz sehen möchte der Senior die Lage und das Erscheinungsbild nicht: „Der Bahnhof hat Farbe bekommen. Das tut ihm gut.“
Stimmt. Kunterbunt, farbenfroh und grell gemustert erteilt die Unterführung zu den Bahngleisen allem Schwarz-Weiß-Denken über Bahnhöfe eine Absage. Ein Gewirr, Gewimmel und Gewusel aus Linien, Formen und Farben sorgt, gespickt mit pinken Stimmungsaufhellern, für eine bessere Laune. Der Bahnhof Mettingen sei ganz in Ordnung, sagt denn auch Christine Steinberg. Nur der Müll, der hier manchmal achtlos weggeworfen wird, gefällt ihr gar nicht. Süßigkeiten oder leere Flaschen liegen dann auf dem Boden herum. Dabei wäre es kein Problem, den Unrat in einen Mülleimer zu werfen. Zu Hause würden die Menschen das ja auch tun. Ein Ärgernis.
Doch das Graffiti eines breit grinsenden Mundes an den Unterführungswänden scheint alle unangenehmen Gedanken hinweglachen zu wollen. Bei Silke Seitter hat das funktioniert: „Wunderschön sieht das hier aus“, sagt sie. Die Bemalung der Wände sei gelungen, schaffe eine freundliche Atmosphäre: „Das macht sehr viel aus.“ Dennoch – bei näherem Hinsehen fallen auf der kunterbunten Fassade Beschädigungen und Schmierereien auf. Das Plakat mit der Ankündigung einer Ausstellung über den Lyriker und Essayisten Peter Rühmkopf ist selbst zum streitbaren Kunstwerk geworden. Es befindet sich zwar hinter einer Scheibe, doch auf das Glas wurden schwer entzifferbare Buchstabenhieroglyphen geschmiert. Und auch anderswo gibt es in der Unterführung Spuren von Vandalismus. An eine graue Tür wurden gechillte Lebensweisheiten geschrieben: „Inne halten und durchatmen“, steht da.
Der Aufzug hinauf zu den Gleisen drei und vier funktioniert. Der Geruch ist neutral – bei früheren Besuchen kostete das Betreten wegen unangenehmer Duftnoten starke Überwindungen. Doch die Treppen sind netter. Die weiß und lilafarbenen Vierecke an der einen und die meerblauen Pfeile an der anderen Wand sorgen für Farbtupfer. Grell blau ist auch das riesige Plakat, das oben auf den Bahnsteigen auf Zugausfälle hinweist. Vom 31. Juli bis 12. September sei die Stammstrecke zwischen Österfeld und Hauptbahnhof wegen Modernisierungsarbeiten offline. Ein Ersatzverkehr sei aber eingerichtet. Den hätte auch Tushiyalini Peethamparan in den vergangenen Tagen gebraucht. Der Bahnhof sei in Ordnung und gut in Schuss, meint sie. Aber durch die Streiks des Bahnpersonals sei sie wiederholt zu spät zur Arbeit in Stuttgart gekommen: „Doch sonst passt alles.“ Sunay San macht sich derweil am Fahrkartenautomaten zu schaffen. Er funktioniere, das Handling sei einfach, sagt sie. Aber der Bahnhof und auch manche Ecken in Mettingen seien schon sehr schmutzig.
Durch die farbenfrohe Unterführung geht es wieder hinaus vor das Bahnhofsgebäude. Ein Corona-Schnelltest-Zentrum hat hier seine Zelte aufgeschlagen, vor dem drei Menschen stehen. Ohne Anmeldung werden laut Ankündigungsschildern Ergebnisse innerhalb von 15 Minuten versprochen. Ein optischer Schnelltest zum Bahnhof Mettingen führt ebenfalls zu einem schnellen Ergebnis: Seine Handicaps könnten in 15 Minuten sicher nicht behoben werden.
Zwischen 4500 und 5000 Kunden hat die Deutsche Bahn AG pro Tag auf dem Bahnhof in Mettingen registriert. An den Werktagen verkehren hier montags bis freitags bis zu 150 S-Bahnen. An den Wochenenden ist ihre Anzahl etwas geringer. Samstags fahren ungefähr 120 Fahrzeuge in den S-Bahnhof ein, sonntags sind es etwa 90 Fahrzeuge. In den nächsten Jahren plant die Deutsche Bahn AG Umbauarbeiten auf dem Bahnhof in Esslingen-Mettingen. Hier sei ein barrierefreier Ausbau vorgesehen, teilt das Unternehmen mit.