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Seite 3 Redaktion

“Keiner muss Bier trinken”

Foto: Roberto Bulgrin

Bezahlbarer Wohnraum für Studierende ist knapp. Studentenverbindungen dagegen werben mit freien Zimmern. Was erwartet einen? Zu Besuch bei der Staufia in Esslingen.

 

Die Klischees kennt man: Verbindungen sind trinkfeste Männerbünde, die Klüngelei und ein traditionelles Weltbild pflegen. Doch die Realität in Esslingen ist eine andere, findet Rudolf Beyer. Er ist im erweiterten Vorstand der Technischen Studentenverbindung Staufia für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. „Bei uns wird Demokratie großgeschrieben“, sagt er, über alle Ämter und Aufgaben wird mehrheitlich abgestimmt. „Wir sind absolut unpolitisch, weder rechts noch links“, ergänzt Maja Civcija, die als Frau auch der Beweis dafür ist, dass bei der Staufia wie in den anderen Esslinger Verbindungen die Gleichberechtigung längst angekommen ist. „Es ist ein Umgang auf Augenhöhe“, sagt die 28-Jährige.

Als Verbindung, deren historische Wurzeln aus Zeiten der Esslinger Ingenieurschule stammen, nimmt die Staufia nur Studierende technischer Fächer auf. „Die anderen hätten nichts von den damit verbundenen Vorteilen“, erklärt Beyer. Denn die Verbindung sei mehr als eine Zweckgemeinschaft. „Es ist ein soziales Netzwerk und macht das technische Knowhow unserer Mitglieder allen zugänglich“, sagt der 83-Jährige. Es werden Kontakte vermittelt und es gibt Mathekurse oder Studienberatungen. Und wenn wieder einmal ein neues Hausprojekt ansteht, wie zuletzt der Bau einer Photovoltaikanlage, gibt es unter den vielen technikaffinen Bundesbrüdern immer jemanden, der die Sache in die Hand nimmt. Zwar wird niemand zu Arbeitsdiensten verpflichtet, aber meistens gibt es trotzdem genügend Helfer. „Man wird mitgerissen“, beschreibt Beyer das Kameradschaftsgefühl.

Treffpunkt und Mittelpunkt der Staufia sind die Verbindungshäuser in der Mülbergerstraße 39 und 41. Vor diesen wird während des Semesters die Fahne gehisst. In den herrschaftlichen Jugendstilvillen gibt es neben einem großen Festsaal und dem Partykeller auch fünf Wohngemeinschaften mit insgesamt 17 Zimmern. Die anderen Verbindungen vermitteln ebenfalls Unterkünfte, die jedoch häufig verstreut liegen. „Unserer Meinung nach haben wir die schönsten Zimmer“, sagt Rudolf Beyer.

Auch Maja Civcija kam über die Zimmersuche zur Staufia und war ahnungslos, worauf sie sich einließ. „Ich dachte, ich schaue es mir einfach mal an“, erinnert sie sich. Inzwischen ist sie ein „Alter Herr“, wie die ehemaligen Studierenden genannt werden. Dass es dafür keine weibliche Bezeichnung gibt, genauso wenig wie für Bundesbruder oder Bursche, stört sie nicht. Es sei ein Titel, den sie gleichberechtigt trage. „Bundesschwester“ heißen die Partner der Mitglieder – egal, ob Frau oder Mann.

Man darf für ein Semester als Gast zur Probe wohnen. „Die meisten bleiben dabei“, hat Maja Civcija die Erfahrung gemacht. So war es auch bei Dominik Henkel. Er hat sich anfangs vor allem wegen der tollen Wohnsituation für die Staufia entschieden. „Ich habe dann schnell gemerkt, dass es mir richtig gut gefällt“, sagt der Student über den familiären Zusammenhalt, „ich mag die Leute“. Nach einem Auslandsaufenthalt wohnt er mittlerweile zwar nicht mehr in der Mülbergerstraße, kommt aber regelmäßig vorbei, um im Gemeinschaftsraum mit den anderen zu lernen.

Wer einziehen darf, bestimmen die Bewohner selbst. Dass es derzeit noch freie Zimmer gibt, davon zeugt auch das Banner an der Außenwand. Die Neuen bekommen traditionell als Erstes einen „Kneipennamen“, mit dem sie fortan angesprochen werden. Bier und Kneipe spielen begrifflich eine wichtige Rolle. Es gibt beispielsweise den Bierhut, wie die Mützen heißen. Die „Antrittskneipe“ und „Abschlusskneipe“ zum Beginn sowie Ende des Semesters sind neben dem Stiftungsfest wichtige Termine im Jahr. Nicht nur dann wird Bier auch gern getrunken. „Keiner wird dazu gezwungen, es gibt auch Softdrinks und alkoholfreies Bier“, widerspricht Maja Civcija alias Ginderella dem Klischee. „Aber mit macht es mehr Spaß“, sagt Rudolf „Remis“ Beyer und lacht.

Viele Riten der Verbindung, die bis heute gepflegt werden, sind weit über 100 Jahre alt. Dazu gehören etwa schmale Schärpen in den Staufia-Farben Schwarz, Blau und Rot sowie eine Fantasieuniform. Letztere wird bei offiziellen Anlässen von den Chargen getragen. Das sind Studierende, die in ein Amt gewählt wurden und beispielsweise ein Convent organisieren. So werden die Treffen genannt, bei denen Ausflüge geplant oder Beschlüsse gefasst werden. Die Degen sind nur Zierde und mit ihnen wird allenfalls hörbar auf ein Brett geschlagen, um eine Veranstaltung einzuläuten oder zu beenden. Fechten wird in den Esslinger Verbindungen nicht praktiziert.

 

Esslinger Verbindungen
Sechs studentische Verbindungen gibt es an der Hochschule Esslingen. Die Verbindung Motor, die Verbindung Suevia, Technisch-Wissenschaftlicher Bund Kephallenia-Württembergia, Technische Verbindung Arminia, Technische Verbindung Staufia und die Sportverbindung Hohenneuffen. Alle sind gemischt und nicht-schlagend. Zusammen mit anderen Verbindungen aus Stuttgart und Nürtingen haben sie sich im Rotenberger Vertreter Convent (RVC) zusammengeschlossen. (pep)