Foto: Roberto Bulgrin
Noch befindet sich die Stadt fest im Griff der Corona-Pandemie. Die Läden sind zu, das öffentliche Leben ist weitgehend stillgelegt. Doch in Esslingen will man sich schon für die Zeit danach wappnen. Die Stadt macht Druck: Sie will möglichst schnell ein Konzept für die Zukunft. Auch Stadträte und Händler zerbrechen sich den Kopf darüber, wie es weitergehen kann. Denn klar ist, dass Corona den schon länger erkennbaren Strukturwandel erheblich beschleunigt.
Einen ersten Vorstoß zu dem Thema hat die Stadtverwaltung jüngst im Ausschuss für Technik und Umwelt gewagt. Sie wollte einen Dialog zur Zukunft der Innenstadt initiieren – unter der Moderation eines externen Beratungsunternehmens. Das lehnte das Gremium allerdings ab. Man war sich zwar einig, dass man über den Wandel der City sprechen müsse, doch externe Hilfe sei nicht notwendig, so der Tenor. Gleichwohl scheint das Thema an Brisanz zu gewinnen. Im Rathaus wird jetzt eine umfassende Vorlage für die Stadträte vorbereitet – und vergangene Woche stellte die SPD den Antrag auf einen „Aktionsplan Innenstadt“.
Weitgehend Konsens herrscht darüber, was derzeit schief läuft in der City. Grob gesagt lässt sich das so zusammenfassen: zu viel Leerstand, zu viele Handelsketten, zu wenig Vielfalt und zu wenig individuelle Läden. Als Grund dafür gilt vor allem der immer stärker werdende Online-Handel, aber auch etwa hohe Ladenmieten. Künftig brauche man einen gesunden Branchenmix sowie eine bunte Mischung aus Einzelhandel, Gastronomie, verträglichem Handwerk, Kreativnutzung und innerstädtischem Wohnen, so das Credo. Zudem fehle ein Gesamtkonzept, an dessen Erarbeitung sich die verschiedenen Akteure beteiligen und anschließend orientieren können.
Für die Fraktion der Grünen im Gemeinderat reicht es dabei nicht, sich auf den Handel zu konzentrieren. Zwar sei es wichtig, für einen guten Branchenmix zu sorgen, leer stehende Läden durch Zwischennutzungen zu bespielen oder hochwertigen Einzelhandel anzusiedeln – doch darauf habe die Stadt nur begrenzt Einfluss. Hier seien vor allem die Vermieter gefragt. Aktiv werden sollte die Stadt aus Sicht der Grünen daher auch beim Thema Aufenthaltsqualität: „Wir haben zu wenig Orte zum Verweilen, zu wenig Grün in den Einkaufsstraßen, zu wenig Bänke zum Ausruhen“, sagt die Fraktionschefin Carmen Tittel. Es fehlten Plätze, an denen man sich treffen und ein Schwätzchen halten könne. „Die Maille ist toll – aber es braucht mehr“, betont sie. Dazu gehörten auch bessere Angebote für Radler und Fußgänger sowie der weitgehende Ausschluss von Autos.
Die Freien Wähler glauben, dass die Einzelhandelsfläche in Esslingen für künftige Anforderungen zu weitläufig sein könnte. Sie schlagen vor, den Handel verstärkt auf ein Kerngebiet zu konzentrieren – etwa durch Umzugsanreize für Einzelhändler. Zudem könne man eine zentrale Abladestelle für alle Paketdienste einrichten, von der aus die Sendungen mit dem Rad weiter verteilt werden, um den störenden Lieferverkehr in der City zu vermeiden. Auch ein Lieferservice für Kunden, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad in der Stadt sind, eine liberalere Gestaltungssatzung für die Innenstadt oder Existenzgründerprogramme für individuelle Einzelhändler könne man sich vorstellen, sagt Stadtrat Jörg Zoller.
Jörn Lingnau, Fraktionsvorsitzender der CDU, hält vor allem eine autofreie Innenstadt für immens wichtig. Das Argument, dass die Erreichbarkeit mit dem Auto den Einzelhandel stärke, lässt er nicht gelten: „Wer zu Fuß unterwegs ist, kauft auf dem Weg zu seinem Ziel noch ein Brötchen beim Bäcker oder eine Zeitung am Kiosk“, ist er überzeugt – wer hingegen sein Auto auf dem Kurzzeitparkplatz abgestellt habe, erledige meist lieber schnell, was er ohnehin vorhatte. Darüber hinaus sei ein strategisches Gesamtkonzept zwar das A und O, doch solle genügend Raum für individuelle Gestaltung und eine lebendige City bleiben. „Wenn überall der gleiche Blumenkübel steht, ist das auch nicht so attraktiv“, glaubt Lingnau.
Für die FDP-Fraktionsvorsitzende Rena Farquhar hat Esslingen beste Voraussetzungen, um die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen. „Das Einkaufen in der Stadt wird es immer geben. Aber es wird sich vom Bedarfseinkauf zum Erlebnisshoppen wandeln“, glaubt sie. Die Bedingungen in der Esslinger Altstadt mit ihrem historischen Ambiente und kleinen, verwinkelten Läden seien dafür ideal. Aber man müsse das schöne Ambiente verstärkt in den Vordergrund rücken und noch mehr auf das Einkaufserlebnis setzen. Zudem stelle sich die Frage, ob künftig alle derzeitigen Einzelhandelsflächen bespielt werden können – oder ob nicht ein Teil davon in Wohnraum umgewandelt werden könnte.
Die Linke wünscht sich künftig ebenfalls einen bunten Mix verschiedenster Nutzungen in der Innenstadt. „Wir wollen eine lebendige Altstadt, spielende Kinder und miteinander redende Erwachsene, Kleinkunst, Skulpturen und die Stadtbücherei, das Theater und die Teilhabe für alle“, sagt Fraktionschef Tobias Hardt. Gastronomie und Einzelhandel seien wichtige Faktoren, aber auch darüber hinaus gebe es genug Ideen für die Zukunft. Als erstes aber wünsche sich seine Fraktion die Einrichtung einer barrierefreien Toilette gegenüber des Technischen Rathauses.