Die 55 Quadratmeter sind aufgeteilt in Wohnzimmer, zwei Schlafzimmer, offene Küche, Bad und zwei Balkone – alles barrierefrei. An sich ist das nichts Außergewöhnliches. Allerdings hat das Domizil von Brigitte und Herbert Trunner aus Freiberg am Neckar auch keinen Keller oder Garten, sondern schwimmt auf dem Wasser. Vor kurzem machten die Trunners mit ihrem Hausboot Marke Eigenbau Station beim Motoryachtclub Esslingen auf der Neckarinsel – und zogen mit der 18 Meter langen, weinroten „Tukan“ viele neugierige Blicke auf sich.
Es gibt nicht viele Hausboote auf dem Neckar. Insofern ist das Ehepaar Trunner unter den Bootsleuten bekannt wie ein bunter Vogel. „Der Neckar ist ein kleines Dorf – jeder kennt uns hier“, sagt Herbert Trunner. Vier Jahre lang haben die Trunners an der Tukan getüftelt bis das Boot im Mai 2019 endlich fertig war. Auch von einem schweren Schicksalsschlag ließ sich das Ehepaar nicht aufhalten: Im Juli 2016 stürzte Herbert Trunner, der demnächst seinen 70. Geburtstag feiert, vom Dach des Hausboots und zog sich dabei so schwere Verletzungen zu, dass er seitdem im Rollstuhl sitzt. Doch während andere in dieser Situation sämtliche Hausbootpläne ad acta gelegt hätten, haben sich die Trunners entschlossen, ihren Traum weiterzuleben.
„Es war am Anfang nicht einfach“, räumt Herbert Trunner ein. Er, der schon als Junge mit seinem Vater zusammen Segelboote gebaut und auch sonst immer alles selber gemacht hat, war zwar nicht zu kompletter Untätigkeit verdammt. Aber dennoch waren die beiden viel mehr auf die Hilfe von Freunden und Handwerkern angewiesen als ursprünglich geplant. Allerdings lautet die Trunner’sche Devise bis heute „Das Beste draus machen“. So gibt es auf der Tukan im Innenraum viel Platz, damit der Kapitän in seinem Rollstuhl schalten und walten kann wie er will. Die Türrahmen sind etwas breiter als die Norm, und mobile Rampen erleichtern den Aufgang an den Kaimauern. Und wenn es mal gar nicht geht, gibt es am Heck einen Flaschenzug, mit dem Herbert Trunner an Land befördert werden kann. „Die meisten Yachtclubs sind ja nicht barrierefrei, aber irgendwie funktioniert es immer“, sagt Herbert Trunner. Im Zweifelsfall packen die anderen Skipper, die im jeweiligen Hafen liegen, mit an. Unter Bootsleuten hilft man sich.
Früher hatten die Trunners ein Segelboot, das ebenfalls den Namen „Tukan“ trug. Mit diesem waren sie viel auf den Flüssen von Europa und sogar Asien unterwegs. „Sogar die Donau bis ins Schwarze Meer haben wir so bereist“, erzählt Brigitte Trunner. Mit der neuen Tukan geht es nun aber um einiges gemächlicher zu. Vor ihrem Halt in Esslingen lagen die beiden einige Zeit in Benningen am Neckar und davor in Lauffen – dort hat sie der Starkregen Anfang Juli erwischt. „Da lagen wir zum Glück fest vertäut am Hafen“, sagt die 65-Jährige. Nach dem Unwetter mussten die Bootsbesitzer erst mal ein paar Tage abwarten, bis das viele Treibholz abgeschwemmt war. Treibholz ist auch oft an den Schleusen problematisch – im Zweifelsfall greift Brigitte Trunner dann zum Bootshaken und drückt die Stämme zur Seite, um der Tukan einigermaßen freie Fahrt zu gewährleisten.
„Für die 40 Flusskilometer von Benningen bis nach Esslingen haben wir rund acht Stunden gebraucht“, erzählt Brigitte Trunner weiter. Neun Schleusen waren auf der Strecke zu bewältigen, das dauert eben – auch wenn es die Tukan mit ihren beiden Innenbordmotoren auf 100 PS bringt. „Mit einem Hausboot reist man sehr, sehr gemächlich. Eigentlich ist es Entschleunigung pur“, sagt Herbert Trunner. Bislang sind die beiden nur auf dem Neckar unterwegs gewesen. Auch aus Sicherheitsgründen, denn die Tukan hatte mit einigen technischen Mängeln zu kämpfen. „Kinderkrankheiten“ nennen die Trunners das – da sei es immer gut gewesen, Spezialisten in der Nähe zu haben. Im Winter lag die Tukan fest vertäut im Heilbronner Osthafen. Und obwohl die Trunners noch eine Wohnung in Freiberg am Neckar besitzen, haben sie auch in der kalten Jahreszeit die meiste Zeit auf dem Boot verbracht. „Mir ist es eigentlich egal, wo ich bin, Hauptsache, ich habe Wasser um mich herum“, sagt der Kapitän und grinst.
Von Esslingen aus hat sich das Ehepaar als nächstes Ziel Neckarrems ausgeguckt. Wenn alles klappt, wollen sie bis zum Ende der Saison bis nach Heidelberg schippern. Herbert Trunner träumt davon, von Heidelberg aus auf den Rhein zu fahren und dann vielleicht weiter die Lahn hoch. „Das sehen wir aber noch alles“, schränkt seine Frau ein – so lange im Voraus Pläne zu machen sei sowieso nicht ihr Ding: „Wir haben ja gemerkt, dass oft alles anders kommt als man denkt.“
Rund 150 000 Euro und viel Eigenleistung haben die Trunners in die Tukan gesteckt. Von der Ausstattung her ist die Tukan eher als gehoben zu bezeichnen. Neben der großzügigen und barrierefreien Raumaufteilung verfügt sie über eine Fußbodenheizung, Solarzellen auf dem Dach und einen 2000-Liter-Frischwassertank.
Der Neckar ist von Plochingen abwärts bis zur Mündung in den Rhein bei Mannheim Bundeswasserstraße und damit auch für größere Frachter befahrbar. Insgesamt beläuft sich die schiffbare Strecke auf 203 Kilometer, die von 27 Schleusen unterteilt wird. Große Häfen gibt es in Stuttgart, Heilbronn und Mannheim. Daneben gibt es einige private Institutionen wie den Motoryachtclub Esslingen, die private Häfen unterhalten. kd