Foto: Ines Rudel
Sie kommen aus vielen Ländern dieser Erde, und so unterschiedlich ihre Geschichten sind – eines gilt für alle: Wenn sie hierzulande Fuß fassen wollen, müssen sie die deutsche Sprache beherrschen. Damit auch Schülerinnen und Schülern ohne ausreichende Sprachkenntnisse der Start gelingt, beginnt ihre Schulkarriere in Vorbereitungsklassen (VKL). Dort werden sie durch intensive und individuelle Sprachförderung auf den Wechsel in reguläre Klassen vorbereitet. Weil derzeit immer mehr junge Leute aus der Ukraine hierher kommen, werden Vorbereitungsklassen immer wichtiger – vielerorts werden wie an der Esslinger Zollberg-Realschule (ZRS) neue VKL-Klassen eingerichtet. Die Schülerinnen und Schüler der bislang mehr als 60 VKL-Klassen im Bereich des Staatlichen Schulamts Nürtingen sind zwischen elf und 17 Jahre alt, viele haben einen Fluchthintergrund. Manche hatten in ihrer Heimat geregelten Unterricht, andere hatten zuvor nie ein Klassenzimmer von innen gesehen. Manche bringen erste Sprachkenntnisse mit, für andere ist die deutsche Sprache noch ein Buch mit sieben Siegeln. Erfahrene Pädagoginnen und Pädagogen wie Beate Letsch-Auch, die an der ZRS unterrichtet, müssen mit kreativen Konzepten auf die sehr individuellen Anforderungen eingehen. Vieles funktioniert anfangs spielerisch. „Unterrichtserfolge hängen nicht nur davon ab, wie lange jemand hier ist“, weiß Beate Letsch-Auch. „Manche lernen schnell, andere tun sich schwerer.“ Bisweilen staunt man, was qualifizierte Sprachförderung ermöglicht. So hat Lehrerin Patrizia Grillo, die nun an der Esslinger Schule Innenstadt unterrichtet, vor Jahren mit Denkendorfer VKL-Schülern nach nicht einmal einem Jahr Goethes „Faust“ erfolgreich aufgeführt. „Es geht aber nicht nur um Bildung“, sagt ZRS-Rektorin Brigitte Krömer-Schmeisser. „Die Kinder müssen spüren, dass sie hier gut aufgehoben sind. Um das zu erreichen, muss man sehr individuelle Wege gehen.“ Und Konrektorin Carolin Saar weiß: „Viele brauchen wieder eine Struktur im Tagesablauf. Und sie brauchen Bezugspersonen.“ Die jungen Leute sollen nur so lange in der Vorbereitungsklasse bleiben, bis sie fit für den Regelunterricht sind. Der Wechsel darf allerdings auch nicht zu früh kommen, um Überforderungen zu vermeiden. Sprachförderung steht im Mittelpunkt, aber auch Fächer wie Technik, Kochen oder Sport können Zugang zur Sprache eröffnen. Auf jeden Fall braucht es Lehrerinnen und Lehrer, die sprachliche Kompetenz und Empathie vermitteln. Dass Corona die Arbeit nicht erleichtert, sieht Krömer-Schmeisser: „Digital ist vieles machbar. Ganz wichtig ist aber auch der soziale Aspekt.“ Manche Kinder brauchen weitergehende Hilfen, die über die Schulsozialarbeit hinaus gehen. Corina Schimitzek, die Leiterin des Staatlichen Schulamts Nürtingen, schätzt Vorbereitungsklassen als „gutes und jahrzehntelang bewährtes Modell“ – nicht nur für Schüler mit Fluchthintergrund, sondern auch für viele, deren Eltern zum Arbeiten hierher gekommen sind. Etwa 8000 Kinder und Jugendliche, die aus der Ukraine fliehen mussten, besuchen bereits Schulen im Land. „Anders als Kinder aus anderen Krisenregionen, die oft ein, zwei Jahre lang auf der Flucht waren, kommen ukrainische Kinder aus einem gut funktionierenden Schulsystem“, weiß Schimitzek. „Viele sind zum Beispiel in Mathematik weit voraus, oft fehlt es nur an den Sprachkenntnissen. Dem versuchen wir zu begegnen.“ Weil immer mehr ukrainische Schüler hierher kommen, wird das Angebot an VKL-Klassen in enger Zusammenarbeit mit den örtlichen Schulträgern ausgebaut, wofür nicht nur Räume, sondern vor allem auch pädagogisches Personal benötigt wird. „Wir müssen rasch die Voraussetzungen schaffen, damit die Vorbereitungsklassen möglichst effektiv arbeiten können“, fordert der CDU-Landtagsabgeordnete Andreas Deuschle, der sich an der Zollberg-Realschule ein Bild von der Arbeit der VKL gemacht hat und mit Lehrerinnen und Lehrern verschiedener Schulen gesprochen hat. Seine Schlussfolgerungen trägt er nun in die Landespolitik. An der Zollberg-Realschule wurde nun eine weitere Vorbereitungsklasse eingerichtet, in der zur besseren Integration neben ukrainischen auch einige Schüler anderer Herkunft sitzen. „Kinder, die aus ihrem gewohnten Leben herausgerissen wurden, brauchen viel Normalität“, weiß Corina Schimitzek. „Was spricht dagegen, dass Schüler, bei denen es nur an sprachlichen Möglichkeiten fehlt, einen Teil des Tages Sprachförderung erhalten, ansonsten aber regulären Unterricht etwa in Mathe oder Sport erhalten? Da müssen wir je nach den individuellen Erfordernissen kreative Lösungen finden.“ Zumal keiner weiß, wie sich die Situation in der Ukraine weiterentwickeln und was auf die Schulen noch zukommen wird.
Der Esslinger CDU-Landtagsabgeordnete Andreas Deuschle ist überzeugt, dass „gute Bildungsangebote für Schülerinnen und Schüler ohne ausreichende Sprachkenntnisse entscheidend für die Integration sind“. Diese Angebote müssten nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ weiterentwickelt werden. Mit einer Kleinen Anfrage an die Landesregierung will er die Entwicklung forcieren: „Gute Beispiele auch aus Esslingen zeigen, was möglich ist, wenn die Voraussetzungen stimmen.“ Unter anderem will der CDU-Abgeordnete wissen, wie die Landesregierung zu Überlegungen steht, ukrainische Schüler ohne vorherigen Besuch einer Vorbereitungsklasse in den deutschsprachigen Regelunterricht zu übernehmen. Er will die personelle Ausstattung der VKL-Klassen, Qualifikationen und Fortbildungsmöglichkeiten der Lehrkräfte sowie den Einsatz zusätzlicher Kräfte unter die Lupe nehmen. Er legt Wert auf gute Unterbringung der VKL-Klassen in den Schulen und auf deren Versorgung mit adäquaten Lehr- und Lernmaterialien.