Foto: Ines Rudel
Blau wie frostige Kristalle sind die Säulen und das Gestänge am Bahnhof Echterdingen bemalt. Daneben strahlen Quader in bunten Farben und chromblitzende Straßenkunst. Die Betonwände hat der Stuttgarter Künstler Christoph Jeroo Ganter gestaltet. „Drei Wochen haben wir in diesem Betoncanyon gearbeitet, das war sehr reizvoll“, schwärmt der Graffitikünstler. Die funktionale Architektur habe ihn gereizt.
Ganter hat bis vor kurzer Zeit noch als Lehrer für Sport und Englisch an einem Stuttgarter Gymnasium unterrichtet. Die Echterdinger Bahnstation hat er Ende 2020 in ein Kunstwerk im öffentlichen Raum verwandelt. Möglich gemacht hat das Auftragswerk der Deutschen Bahn deren Bahnhofsmanager Nikolaus Hebding. Er hat schon einige Stationen in der Region Stuttgart umgestalten lassen. Auch am Stuttgarter Nordbahnhof, in Fellbach und in Asperg sind Werke des Graffiti-Künstlers zu bewundern. In Zeiten, da die Museen coronabedingt geschlossen sind, gibt es dadurch zumindest an den S-Bahn-Stationen einiges an Gebrauchskunst zu entdecken. Das muss nicht allen gefallen. Attraktiv ist es aber doch. Manchmal gleicht der Untergrund einem Museum.
„Wenn ich mit einem Graffiti-Kunstwerk anfange, lasse ich mich vom Ort und von der Architektur inspirieren“, schildert Graffiti-Künstler Ganter seinen Arbeitsprozess. Als er durch die Betonschluchten des Echterdinger Bahnhofs schlenderte, assoziierte er die Eiskristalle. Dabei bleibt der Künstler aber bei der abstrakten Form. Er habe keine Lust, „einen Fernsehturm“ auf die Wände zu pinseln, sagt Ganter. Deshalb sei er glücklich, dass ihm die Vertreter der Bahn und der Stadt Leinfelden-Echterdingen ganz freie Hand ließen.
Ohne den innovativen Bahnmanager Nikolaus Hebding würde es seine Bahnhofskunst nicht geben, schwärmt Christoph Ganter von der Zusammenarbeit: „Er kümmert sich um Fördermittel und ebnet den Weg für solche Projekte an den Bahnhöfen.“ Ganter, der inzwischen weltweit für Auftragsarbeiten gebucht wird und jüngst sogar in Las Vegas ein Kunstwerk gestaltet hat, wünscht sich, dass seine Kunst „auch beim kurzen Halt an der Station wahrgenommen wird“.
Nikolaus Hebding ist hochzufrieden mit dem Ergebnis des Künstlers. „Wir lassen den Kunstschaffenden freie Hand mit ihren Entwürfen.“ Dennoch binde man auch die Kommunen ein. Vandalismus an Bahnhöfen war früher ein Problem. Jetzt schafft der innovative Manager ein Forum für die farbenfrohe Kunst.
Über Konjunkturprogramme und über private Sponsoren hat er viele der Auftragswerke in der Region Stuttgart möglich gemacht und Honorare zahlen können. Das Graffiti-Projekt „Secret Walls Gallery“ am Stuttgarter Hauptbahnhof, das Hebding mit dem Kunstmuseum angestoßen hatte, stieß auf überwältigendes Interesse: „Darauf sind wir stolz.“ Inzwischen ist der Bahnmanager bestens mit der Graffiti-Szene vernetzt: „Es ist wichtig, dass die Bahnhöfe von unterschiedlichen Kunstschaffenden oder Kollektiven gestaltet werden.“ Hebding schwebt vor, die Bahnhöfe in der Region Stuttgart als Ausstellungsfläche besser publik zu machen: „Dann könnten die Fahrgäste von Station zu Station reisen und etwa über einen QR-Code ausführliche Informationen zu den Werken bekommen. Fragt man ihn nach weiteren Bahnhöfen im Landkreis Esslingen, die er gerne umgestalten lassen würde, fallen ihm schon einige ein, doch da möchte er die Fahrgäste überraschen.
Viele Projekte hat die Bahn im Landkreis Esslingen schon realisiert. „Das kommt richtig gut bei den Fahrgästen an“, sagt Nikolaus Hebding. In Wendlingen hat das Studio Vierkant etwa die Wartehäuschen mit bunten Lettern neu gestaltet – Hey und Bye ist da zu lesen. Am tristen S-Bahnhof in Esslingen-Mettingen haben die Graffiti-Designer aus Stuttgart im tristen Untergrund eine Farbexplosion entfacht.
Die Graffiti-Auftragswerke der Bahn haben nach Hebdings Worten auch Kommunen inspiriert, ihren tristen, grauen Bahnhöfen neuen Schliff zu verpassen. In bunten, aufgeblähten Lettern ist der Name der Stadt Wendlingen etwa auf der Wand der Bahnhofsunterführung in Wendlingen zu lesen. Das Kunstwerk mit S-Bahn, Büttel und einer schwäbischen Brezel als Buchstabe hat der Künstler Christian Pomplun im Herbst 2018 gestaltet. Die Stadt Wendlingen und das Jugendzentrum Neuffenstraße haben dieses Projekt möglich gemacht, das die triste, dunkle Bahnhofsunterführung freundlicher macht. Der Pädagoge Pomplun ist mit dem Jugendzentrum seit Jahren verbunden und veranstaltet dort Workshops mit Jugendhausbesuchern. Mit Farbspraydosen hilft er den Jugendlichen, ihre Kreativität zu entfalten – am Jugendhaus haben sie eine Wand, die sie immer wieder neu gestalten dürfen.
Bahnpendler in Wendlingen dürfen sich auch über die „Urban Art“ (deutsch: städtische Kunst) von Marc C. Wöhr an den Wänden der Firma Brändle freuen. Der Baustoffgroßhandel hat sein markantes Gebäude von dem Künstler umgestalten lassen und damit einen echten Hingucker geschaffen.
Kunst am Bau hat auch bei der Planung des S-Bahnhofs in Bernhausen eine große Rolle gespielt. „Filderspiel“ heißt die elfteilige Metallplastik von Robert Schad, die auf dem Bahnhofsvorplatz beginnt und sich bis nach unten auf den Bahnsteig zieht.