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Erster Christopher Street Day

Foto: Roberto Bulgrin

Unter dem Motto „Esslingen is coming out“  werden am 17. Juni die ­Regenbogenfahnen bei einem Demonstrationszug vom Bahnhof zum Marktplatz geschwenkt. Die Organisatoren des CSD erklären, warum der Tag aus ihrer Sicht nötig ist.

Jüngst habe sie sich  mit einer Transperson zum Shoppen verabredet, berichtet Pia Zazzarini. „Ich habe vorab überlegt und geplant, wo man  hingehen kann, ohne dass man Gefahr läuft, angefeindet zu werden“, sagt die 25-jährige Studentin über ihre Motivation, bei der Organisation des Christopher Street Days (CSD) in Esslingen mitzuhelfen, der erstmals in der Stadt stattfindet. „Solange man sich über alltägliche Sachen wie Einkaufen Sorgen machen muss, ist  es nötig,  für die Rechte der queeren Szene zu kämpfen.“
Den Stein ins Rollen brachte der ebenfalls 25 Jahre alte Daniel Krusic. Bei einem Besuch des Stuttgarter CSD habe er sich gedacht: „Cool hier! Warum gibt es das nicht in Esslingen?“ Die Nähe zur Landeshauptstadt sei für die Bewegung Segen und Fluch zugleich. Zwar gebe es eine lebendige Szene in der Nähe, aber dadurch gebe es in Esslingen eben auch kaum Anreize, ein breiteres Angebot für queere Menschen zu schaffen. „Selbst die Drag-Künstlerinnen und -Künstler, die aus Esslingen kommen und am CSD-Esslingen auftreten,  sind sonst nur in Stuttgart unterwegs“, sagt Krusic. Im vergangenen Herbst hätten die Initiatoren alle Vereine und Gruppierungen angeschrieben, die Berührungspunkte mit ihrer Bewegung hätten. „Wir wollten schauen, ob der Ballon steigt, und zum ersten Treffen kamen direkt um die 30 Leute, und es wurden immer mehr“, so Krusic.
Die zunehmende Gewalt gegen queere Menschen bereite ihnen Sorgen. Schließlich sei das nicht nur ein globales Thema, sondern auch ein kommunalpolitisches. „Die Gesellschaft wird offener, aber ein kleiner radikaler Teil wird lauter.“ Die 24-jährige Schulsozialarbeiterin Cere Melzer, die wie Krusic und Zazzarini Teil des fünfköpfigen Hauptorganisatorenteams  ist, trägt für den Pressetermin ein T-Shirt mit dem Aufdruck des eigens entworfenen Logos des Esslinger CSD: eine Zwiebel in den Farben der Pride- oder Regenbogenflagge. Auf dem Weg  zum Termin habe sie es aus Vorsicht nicht getragen. „Es könnte immer was passieren“, sagt sie. Vor allem die sozialen Medien würden polarisieren: „Ich lese keine Kommentare mehr unter Beiträgen der ‚Tagesschau‘, wenn es um diese Themen geht“, so Melzer.
Derzeit gebe es viele Strömungen auch auf politischer Ebene, die ihnen Unbehagen bereiten würden. Beispielsweise habe in Bayern eine geplante Dragqueen-Lesung das konservative Weltbild der CSU erschüttert. Von „woker Frühsexualisierung“ sprach in diesem Zusammenhang CSU-Generalsekretär Martin Huber. Im Ton würden sich die deutschen und die US-amerikanischen Konservativen bereits ähneln. Wobei die Republikaner noch einen Schritt weitergegangen seien: In Florida sollen mit dem „Don’t Say Gay“-Gesetz  Inhalte zum Thema Geschlechtsidentitäten  aus dem Unterricht der Grundschulen verbannt werden. Diesen Vorstößen gelte es entgegenzutreten, meinen die Organisatoren des Esslinger CSD. Deshalb wollen  sie auch während der Demonstration am 17. Juni an Bürgermeister Yalcin Bayraktar eine konkrete Liste mit Forderungen übergeben. Eine Erweiterung des Amts der Beauftragten für Chancengleichheit um den Bereich „Queer und Diversity“,  die Ausweisung von touristischen und gastronomischen Angeboten als „LGBTQIA+ friendly“ und ein breiteres kulturelles Programm von und für queere Menschen werden beispielsweise gefordert.

Aber natürlich soll es am Tag des CSD nicht nur um Politik gehen. „Es geht auch um das Feiern von Vielfalt: an diesem einen Tag einfach mal so zu sein, wie man ist, zu tragen, was man möchte, und zu wissen, dass man von anderen nicht verurteilt wird“, sagt Melzer. Das  gemeinsame Feiern geht laut Pia Zazzarini auf die Ursprünge des ersten bekannten Aufstands der Trans- und Homosexuellen in der Christopher Street in New York zurück. Eine Straße, die eben  bekannt war für ein florierendes Szene-Nachtleben, aber  auch für viel Gewalt und Polizeiwillkür. Dagegen setzten sich im Jahr 1969 Homosexuelle und Transmenschen im sogenannten Stonewall-Aufstand zur Wehr.  
„Wir verbinden unsere Forderungen mit Emotionen“, sagt Krusic. Langfristig sei ihr Ziel, dass der Esslinger CSD jedes Jahr stattfinde und auch allgemein mehr für die queere Community veranstaltet werde. Noch seien sie eine freie Initiative, aber das soll sich bald ändern: Geplant ist, dass ein Verein gegründet wird. (ff)