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Der gewohnte Wandteppich ist verschwunden. Die großen Lampen im Foyer gibt es nicht mehr. Andere Plakate und aktuelle Schülerarbeiten wurden aufgehängt. Doch sonst? Wenig Neues, viel Altes, meinen die Frauen, die 1971 am Theodor-Heuss-Gymnasium in Esslingen ihr Abitur gemacht haben. Zum 50-jährigen Jubiläum ihrer Reifeprüfung haben sie ein dreitägiges Revival-Treffen organisiert. Eine Stadtführung mit Zwischenstopp an der Ex-Schule ist eines der Highlights.
Viel hat sich nicht verändert. Beim Aufstellen zum Erinnerungsfoto vor der ehemaligen Schule hat für manche ein Schwätzchen Vorrang. „Immer die Gleichen. Das war schon in der Schule so“, witzelt eine der 23 Frauen. Doch alle sprechen vom großen Zusammenhalt in der rein weiblichen Klasse, vom guten Verhältnis auch fünf Jahrzehnte nach dem Abitur, von regelmäßigen Treffen. Sie haben ja auch einiges nachzuholen. Abifest? Abiball? Abiparty? Fehlanzeige. „Wir haben unsere Zeugnisse damals auf dem Sekretariat abgeholt“, erinnert sich Christine Krehl. Eine Feier – das wäre „uncool“ gewesen. Der Geist der revolutionären 68er-Bewegung wollte alles anders machen, sich abheben vom Gewohnten, Brechen mit starren Traditionen der Elterngeneration. Immerhin stellten sie in Eigenregie eine Abschlussreise ins Allgäu auf die Beine. Als Ersatz.
Dabei gibt es keine Gründe für negative Gefühle. Die Erinnerungen an die Schulzeit sind zumindest bei Astrid Dörflinger positiv: Unter den Lehrern habe es keine Fieslinge gegeben. Sie weiß nur von engagierten Pädagogen. Besonders die Chemielehrerin sei super gewesen, pflichten ihr die ehemaligen Klassenkameradinnen bei. Sie konnte motivieren, begeistern, mitreißen, machte spannende Versuche und ließ die Mädchen selbst experimentieren. Das steckte an. Fünf Frauen aus dem Klassenverband haben Pharmazie studiert. Aber es sind auch 15 Lehrerinnen aus dem Abiturjahrgang hervorgegangen, hat Rita Bräutigam zusammengezählt. Sie erinnert sich an manch hämisch-versteckten Kommentar aus männlichen Kreisen innerhalb der Schule und ihrem weiteren privaten Umfeld: eine reine Mädchenklasse und Naturwissenschaften– das sei doch ein Widerspruch. Doch die Zensuren in Fächern wie Physik, Mathematik oder Biologie waren gut, und viele aus ihrem Jahrgang hätten eine naturwissenschaftliche Berufsrichtung eingeschlagen.
Heute ist das kein Thema mehr am Theodor-Heuss-Gymnasium. Rektor Michael Burgenmeister hat sich extra Zeit für die Begrüßung der Ehemaligen genommen. 850 Schüler besuchen zurzeit die Schule, in Spitzenzeiten seien es auch schon über 1000 gewesen, sagt er. Unterrichtet wird natürlich in gemischten Klassen. Bei den Frauen war das anders gewesen. Sie hatten das Mädchen-Gymnasium besucht, das später in das Mörike-Gymnasium umgewandelt wurde. Dann wurde das Theodor-Heuss-Gymnasium in der Breslauer Straße 19 in Esslingen neu gebaut und 1967 eingeweiht – aus Platzgründen zog die gesamte Klasse in diesen Neubau um. Ab 1968 wurden dort auch Jungen in der Jahrgangsstufe fünf aufgenommen, der erste gemischtgeschlechtliche Jahrgang machte 1977 sein Abitur. Doch die heutigen Jubilarinnen wurden als eine reine Mädchenklasse weitergeführt. War aber toll, betonen die Frauen. Die Frage nach einer gemischten Klasse habe sich gar nicht gestellt – sie kannten es ja nicht anders. Sie seien ohnehin eine verschworene Gemeinschaft gewesen. Jungs hätten da nur gestört, meint eine hinter vorgehaltener Hand.
Das Schulgebäude war damals hochmodern. Heute steht es unter Denkmalschutz. Zu Recht, wie Michael Burgenmeister betont. Die Bausubstanz aus den späten 1960ern hat bestens gehalten. Nicht gehalten aber hat sich der Wandteppich von Cornelia Ballak. Es habe damals einen Wettbewerb gegeben, den sie gewonnen habe, blickt sie zurück. Zur Belohnung durfte sie ihre Kreation an der Wand aufhängen. Nun ist dort ein anderes Werk zu sehen: „War mein Wandteppich von Motten zerfressen?“. Das weiß auch Michael Burgenmeister nicht. Er kennt nur den aktuellen Wandteppich. Dass die großen Lampen im Foyer verschwunden sind, kann er aber begründen. Die 500-Watt-Birnen seien ökologisch nicht mehr vertretbar gewesen.
Aber ein wenig Wehmut beschleicht die Frauen schon beim Besuch ihrer alten Schule. Eine Abizeitung hatten sie damals ebenfalls nicht. Auch das wäre „uncool“ gewesen. Darum hat Rita Bräutigam nun – 50 Jahre später – eine aufwendige Hochglanzbroschüre zum Jubiläum gestaltet. Ihr Ehemann Leo ist der einzige Mann in der Frauenrunde. Der technische Support beim Erstellen der verspäteten Abizeitung kam von ihm, berichtet Rita Bräutigam. Und er habe dafür auch die Persönlichkeitsprofile ihrer Klassenkameradinnen in ein passendes Layout gepresst: „Daher kennt er sie nun besser als ich selbst.“