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Seite 3 Redaktion

Die Weihnachtsteller sind nicht von Pappe

Foto: Ines Rudel

Osterhasen, Ostereier und eine Osterhäsin im blauen Kleid mit roten Punkten stehen ganz oben in der Vitrine. Darunter hat Jürgen Pintscher Weihnachtsmänner aufgestellt. Ostern und Weihnachten liegen bei dem 1950 Geborenen ganz nah beinander – und er hat auch kein Problem damit, die Dekorationsartikel das ganze Jahr über in seinem Wohnzimmer in Esslingen-Mettingen stehen zu lassen. Warum auch? „Ich sammle beides – Weihnachtliches und Österliches“, sagt er.
Seit über 30 Jahren ist er auf Flohmärkten in der ganzen Republik unterwegs – auf der Suche nach alten Sachen und Neuem für seine Sammlung. Er trägt die Kostbarkeiten nicht nur zum eigenen Vergnügen zusammen. In früheren Jahren  hat der temperamentvolle Senior drei Weihnachtsausstellungen gleichzeitig mit seinen Exponaten bestückt – 2023 begnügt er sich mit einer: Im Stadtmuseum in Filderstadt-Bonlanden zeigt er fast 120 weihnachtliche Pappteller aus seinem Fundus.
Pappteller? Ein abfälliges Naserümpfen ist fehl am Platze. Denn Jürgen Pintscher hat auch bei diesem Teil seiner Sammlung das richtige Näschen bewiesen. In den Vitrinen und Schaukästen im Stadtmuseum Filderstadt gibt es Raritäten, Kostbarkeiten, Augenweiden, Darstellungen voller Detailtreue. „Das hätten Sie wohl nicht erwartet?“ Es ist eigentlich keine Frage. Es ist eine Feststellung. Jürgen Pintscher ist kein Sammler aus dem Elfenbeinturm – er steht mit beiden Beinen fest im Leben, kennt die Menschen, weiß um ihre Vorurteile und wie sie ticken.

 

In der DDR waren Pappteller der Renner

Und  viele seiner Sammlerstücke können begeistern. Da ist eine nostalgische Boyband alter Prägung abgebildet. Drei Jungs an Schlagzeug, Trompete und E-Gitarre mit beatlesähnlichen Pilzkopffrisuren, aber strohblond. Ein Christbäumchen im Vordergrund ist das einzige Zugeständnis an Weihnachten.
Pappteller waren vor allem in der früheren DDR ein Renner, klärt der Filderstädter Museumsleiter Nikolaus Back auf. Doch die sozialistische Staatsphilosophie ließ sich schwer mit christlichen Inhalten vereinbaren, und eine strenge Zensur ließ die Papptellerhersteller erfinderisch werden. Ein musikalisches Terzett war politisch korrekt. Engel gingen zur Not auch. Ein Pappteller aus der Sammlung Pintscher zeigt sie in einer vom Arbeiter- und Bauernstaat tolerierten Mission: Engel in proletarischer Montur beim Anfertigen von Schlitten, beim Hämmern, Sägen, Bohren und Polieren von Kufen.
Einen Hauch von „Es war einmal“ gibt es auch. Hänsel und Gretel vor dem Hexenhäuschen sind zu sehen. Schneewittchen mit ihren sieben bärtigen Wohngenossen oder die Bremer Stadtmusikanten. Denn Weihnachten und eben auch Ostern waren für den Sammler Jürgen Pintscher schon immer märchenhafte Zeiten. Vier Jahre lang lebten er und sein Zwillingsbruder in einem Kinderheim im Odenwald, und an den wichtigen christlichen Festen kamen die US-amerikanischen Besatzungssoldaten vorbei und holten die Heimkinder ab. Im Jeep, erinnert sich Jürgen Pintscher, ging es in die Kaserne; dort gab es Truthahn, andere Leckereien und wunderbare Geschenke, wie mit Batterien betriebene Autos. Für ihn war das wie Weihnachten  – und in Erinnerung an dieses schöne Kindheitsgefühl hat der erwachsene Mann zu sammeln begonnen. Österliches und Weihnachtliches. Aber nur was ihm gefällt, hat er auch erworben: „Aus Spaß.“

 

Dekorieren hat er gelernt

Nicht alles, was im Stadtmuseum Filderstadt gezeigt wird, ist Pappmaschee. Einige der Motive wurden vergrößert und auf dicke Holzplatten geklebt. Mit Präsentationen kennt sich Jürgen Pintscher aus: Er ist gelernter Dekorateur und hat mit seinen Kollegen viele Jahre lang den Schaufenstern von Breuninger Pfiff, Pep und Stil verliehen.
Seit seiner Pensionierung setzt er seine beruflichen Kenntnisse für sein Hobby und die Komposition von Ausstellungen ein. Die Pappteller in Filderstadt sind thematisch geordnet, viele verbergen Überraschungen: Bei einem schimmert im Hintergrund ein Plattenbau durch, ein Weihnachtsmann im Fesselballon verliert fast zwei verpackte Geschenke, ein Pappteller ist dreidimensional, weil das Motiv in den Boden eingeprägt wurde. Leckereien, Brötchen und Plätzchen werden natürlich nicht in die Pappteller gefüllt – dafür sind sie nach Ansicht von Jürgen Pintscher viel zu schade: „Dann sieht man ja die Motive nicht mehr.“
Im Hochsommer hat er die winterliche Weihnachtsausstellung vorbereitet. Das Sammeln ist ein Ganzjahresjob. Glück für ihn, dass Ehefrau Hannelore seine Liebe zu schönen Weihnachtsdingen teilt. Wegen der gebürtigen Esslingerin ist Jürgen Pintscher einst aus dem Hessischen an den Neckar gezogen. (sw)