Foto: Ines Rudel
Ausgerechnet an diesem Tag habe es in der Praxis etwas länger gedauert, entschuldigt sich Zahnärztin Marion Roeschke für ihre zweiminütige Verspätung. In stylishem Sport-Outfit und beneidenswerter körperlicher Verfassung betritt die 64-Jährige das Sportstudio von Personaltrainer Julian Korbel. Sie wartet dann auch nicht lange und startet sogleich mit ihrem Aufwärmprogramm. Denn um fit für die Bodybuilding-Weltmeisterschaft „Natural Olympia“ in Las Vegas zu sein, muss sie in den kommenden Wochen hart an sich arbeiten.
Roescke betreibt in Reichenbach seit 30 Jahren eine Zahnarztpraxis und hat sich auf Naturheilkunde spezialisiert. Weil sie selbstständig ist, beschränken sich ihre Aufgaben nicht nur auf das Untersuchen von Gebissen und das Behandeln von Zahnerkrankungen. Auch die Organisationsfähigkeiten der Dentistin sind gefragt. Es kommen also eine Menge Aufgaben zusammen.
Während viele Menschen jedoch nach einem stressigen Arbeitstag am liebsten auf der Couch sitzen und fernsehen, fährt Roeschke mehrmals pro Woche in Korbels Studio nach Stuttgart-Plieningen, um dort ihren Körper zu formen. In ihrer Freizeit dreht sich nämlich alles um das Thema Bodybuilding. Nicht nur, dass ihr der Muskelaufbau Spaß macht, sie verfolgt auch sehr konkrete Ziele mit dem Training. „A finde ich es ästhetisch, und B ist es sehr gesund“, sagt Roeschke. Besonders der Gesundheitsaspekt ist ihr sehr wichtig. Bereits in jungen Jahren litt sie unter einem typischen Zahnarztleiden: „Weil wir viel linksverdreht arbeiten, haben wir es immer mit der Wirbelsäule“, erklärt die 64-Jährige. Ihr sei deshalb immer wieder schwindelig gewesen. „Ich habe mir dann irgendwann gesagt: So kann das nicht weitergehen.“
Roeschke begann damit, im Fitnessstudio ihre Muskulatur zu stärken. Außerdem bewegte sie sich viel in der Natur. Vor rund zehn Jahren kam sie dann zum ersten Mal mit dem Extremsport in Berührung. Damals schaute sie bei einem Ironman zu und beschloss, im Alter von 55 Jahren, sich ein Rennrad zu kaufen. Wenig später trat sie bei ihrem ersten Mitteldistanz-Wettbewerb im Triathlon an. Und sie blieb dran. Rad fahre sie noch immer viel, sagt die Zahnärztin. Die Coronazeit hat sie jedoch vermehrt in den Kraftsport getrieben – und darin hat sie eine neue Passion gefunden. Seit Frühjahr 2020 trainiert sie nun schon bei Korbel. Nachdem sich die Sportlerin aufgewärmt hat, setzt sie sich in einen auf dem Boden liegenden Lastwagenreifen und verhakt ihre Füße im inneren Rand des Gummimantels ein. Coach Korbel schnappt sich derweil einen Medizinball und wirft ihn der Zahnärztin zu, die ihn fangen und wieder zurückpassen soll. Eine eher exotisch anmutende Übung, die vor allem die Bauchpartie beansprucht.
Besonders wenn man älter wird, sei es wichtig seine Muskeln zu trainieren. „Mit zunehmendem Alter verliert man an Muskulatur“, sagt Roeschke. Trainer Julian Korbel ergänzt: „Um dem entgegenzuwirken, muss man auch mehr machen.“ Nebenbei betreibt die 64-Jährige durch das Krafttraining auch Sturzprophylaxe. Mithilfe spezieller Übungen verringert sie die Gefahr, zu stürzen – und damit, sich zu verletzen. Hintergrund ist auch, dass sich Roeschke beim Triathlon bereits drei mal die Schulter gebrochen hat.
Es ist nicht nur das Training an sich, das der Selbstständigen viel Zeit kostet. Auch um die strengen Ruhezeiten und Ernährungspläne einzuhalten, bedarf es viel Disziplin und Vorbereitung. „Bei mir ist alles getaktet. Ich überlege mir in der Woche vorher schon, was ich mache. Das geht nicht ohne Planung“, erklärt Roeschke. Ob sie das Gefühl hat, auf irgendetwas verzichten zu müssen? Das verneint Roeschke. Denn es ist auch der sportliche Ehrgeiz, der sie dazu bringt, dieses zeitaufwendige Hobby zu betreiben. Und die Ärztin hat viel vor.
Triathlon, Bodybuilding und dann noch das sogenannte Hyroxtraining, eine Kraft-Ausdauersportart, in der man zwischen diversen Kraftübungen einen Kilometer laufen muss – Roeschke hat Spaß am Sport. „Ich nehme alles mit“, sagt sie und lacht. Doch um am Ball zu bleiben, steckt sie sich gemeinsam mit ihrem Coach feste Ziele. Korbel klärt auf: „Das kurzfristige Ziel ist Muskelmasse aufbauen. Das macht man am besten im Bodybuilding. Um eine gute Performance im Triathlon zu haben, ist das Hyroxtraining sehr gut. Deshalb versuchen wir, die Weltmeisterschaft im Hyrox anzupeilen“, sagt er. „Und wenn das geschafft ist, dann gehen wir Richtung Ironman.“
Ihr nächstes großes Ziel ist die Weltmeisterschaft im Natural Bodybuilding in Las Vegas. Bis November hat die 64-Jährige noch Zeit, um sich auf das Event vorzubereiten. Doch ihr Trainer hat keine Bedenken, dass sie dort nicht gut abschneiden könnte: „In der Altersklasse gibt es sehr wenige, die so fit sind wie die Marion.“ Deshalb sagte Julian Korbel zu ihr: „Du musst da mitmachen, du musst Weltmeisterin werden.“
Sportliche Ziele
Die Zahnärztin Marion Roeschke ist davon überzeugt, dass der Sport viele gesundheitliche Vorteile mit sich bringt. Man werde dadurch nicht nur beweglicher, vor allem im Alter, auch der Psyche tue die regelmäßige Bewegung gut. Mit dem Bodybuilding begann Roeschke, weil sie ihre Leistungen im Triathlon steigern wollte. Eines ihrer großen Ziele: Einen Ironman absolvieren. Zuvor möchte sie bei den Weltmeisterschaften im Natural Bodybuilding in Las Vegas teilnehmen. Natural bedeutet hier, dass die Athleten auf sämtliche Substanzen verzichten, die den Muskelaufbau fördern. Auch in der Sportart Hyrox möchte sich die 64-jährige Medizinerin versuchen. Dabei handelt es sich um einen Wettkampfsport, bei dem die Athleten in einem Parcours Kraft- und Geräteübungen bestreiten. Zwischendrin laufen sie jeweils acht Mal 1000 Meter. Am Ende zählt die Zeit, die sie dafür benötigen.