Foto: Roberto Bulgrin
Homeschooling, keine Begegnungen mit den Freunden, dafür die gesamte Familie teils auf engstem Raum: Dass Corona und die Folgen bei vielen Kindern tiefe Spuren hinterlassen haben, hat das Team der Psychologischen Beratungsstelle Esslingen in den vergangenen Monaten zunehmend erfahren. Dass auch die Kinder aus der Ukraine und aus allen anderen Krisengebieten dieser Welt, die hier Zuflucht gesucht haben, aufgrund ihrer Kriegs- und Fluchterlebnisse teils massive psychische Belastungen mit sich herumschleppen müssen, steht auch außer Frage. Und dass die Wartezeiten auf einen Therapieplatz lang sind, ist ebenfalls eine traurige Wahrheit.
„Deshalb freuen wir uns sehr, dass wir jetzt im Diakonischen Beratungszentrum Esslingen stabilisierende Hilfen für Kinder von sechs bis 13 Jahren mit Flucht- und anderen traumatischen Erfahrungen anbieten können“, sagt Uwe Stickel, der Leiter des Beratungszentrums. Möglich macht das die Unterstützung des Diakonischen Werks Württemberg, das eine Projektfinanzierung für ukrainische Kinder, die von Traumata betroffen sind, ausgeschrieben hatte. Und um die sich der Kreisdiakonieverband Esslingen erfolgreich beworben hatte. Auf Wunsch seiner Beratungsfachkräfte kann das Diakonische Beratungszentrum das Angebot auf alle Jungen und Mädchen in psychischen Notsituationen ausdehnen. Elvira Wacker, die das Esslinger Projekt leitet: „Wir wollen Kinder einer Welt zusammenbringen und damit auch lokale Friedensaktivitäten stärken.“
Aber wie kann man Kinder aus so unterschiedlichen Kulturkreisen und mit so unterschiedlichen Belastungen gemeinsam unterstützen? Wacker: „Wir haben eine kulturübergreifende Methode ausgewählt, die nicht auf Sprache angewiesen ist.“ Die sogenannte „Expressive Sandarbeit“, entwickelt von Eva Pattis, kommt aus der Tiefenpsychologie. Sie basiert auf dem symbolischen Spiel, das die kindgemäße Art des Denkens und Problemlösens sei, erläutert Wacker. Ursprünglich war sie speziell für Auslandseinsätze in Krisengebieten entwickelt worden. Sie kommt zum einen mit wenig Material aus – und kann als Gruppenangebot zugleich viele Kinder auf einen Schlag unterstützen. Jedem Kind wird ein geschützter und freier Spielraum angeboten, in dem es mithilfe eines einfachen Sandkastens und einer Auswahl von Miniaturfiguren „seine innere Welt aufbauen kann“. Ziel sei es, die psychische Selbstregulierung und die Selbstheilungskräfte zu mobilisieren. Was die Kinder aufbauen, entscheiden sie selbst. Dennoch basiere es in der Regel immer auf demselben Muster – egal aus welcher Not und Kultur heraus sie kämen, sagt Wacker. „Sie bauen schwierige Situationen nach, aber auch eine bessere Welt auf.“ Denn ihnen fehle immer das gleiche: die Bindung, die Kontaktperson, das Zugehörigkeitsgefühl.
Wichtig sei deshalb, dass jedes Kind jedes Mal der gleichen ehrenamtlichen Betreuerin oder dem gleichen ehrenamtlichen Betreuer gegenübersitze, die oder der dafür vorher extra geschult werde. Denn in dem Projekt sollen Kinder „Selbstvertrauen durch neue Bindungserfahrung und das Aufgehobensein in der Gruppen“ entwickeln. Pro wöchentlichem Termin, der immer 50 Minuten dauert, treffen sich immer die zwölf gleichen Kinder mit ihren jeweiligen Betreuerinnen und Betreuern – vorerst in den Räumen der Lukaskirche in Weil, die die örtliche Kirchengemeinde zum Raum der Begegnung für den Stadtteil gemacht hatte.
Manche Kinder brauchen noch mehr
Die erste Förderperiode läuft bis 2024. Die Initiatoren gehen davon aus, während dieser Zeit drei bis vier Gruppen pro Jahr unterstützen zu können. „Mir ist bewusst, dass Kinder zu den besonders vulnerablen Gruppe gehören. Sie verfügen aber auch über sehr wirksame Selbstregulationsfähigkeiten“, weiß Wacker, die vor ihrer Tätigkeit im Beratungszentrum für Refugio Stuttgart gearbeitet hatte. Je schneller sie Unterstützung bekämen, desto schneller würden auch die Selbstheilungskräfte greifen. „Wir wissen aber auch, dass das Gruppenangebot für das eine oder andere Kind nicht ausreichen wird, um seine psychische Notsituation zu verarbeiten“, betont Stickel. Aber es könne die Wartezeit bis zu einem Termin bei niedergelassenen Kinder- und Jungendpsychotherapeuten überbrücken.
Das Diakonische Bezirkszentrum will eng mit den Einrichtungs- und Beratungsstellen der Stadt Esslingen, des Landkreises und anderen Trägern von Beratungs- und Therapieangeboten zusammenarbeiten. Zum Zuge kommen Kinder aus dem Kirchenbezirk Esslingen mit seinen angrenzenden Gemeinden. Noch in diesem Jahr soll die erste Gruppe an den Start gehen.