Foto: Ulrike Rapp-Hirrlinger
Abiturzeugnisse wurden hier mit banger oder freudiger Erwartung entgegen genommen. Bei Abschlussbällen kam es zu ersten Flirts. Ganze Schülergenerationen feierten ihren Schulabschluss in diesen Räumlichkeiten, und sogar Klassen der Kirchenmusikschule wurden hier unterrichtet: Das Gemeindehaus am Blarerplatz hat Esslingen und die Esslinger geprägt. „Es gibt engste biografische Verbindungen“, betont Günter Wagner von der Initiativgruppe „Das neue Blarer“. Darum freuen er und seine Mitverantwortlichen sich über einen ersten wichtigen Etappensieg im Rennen um den Erhalt des prägnanten Gebäudes mitten in der Innenstadt. Denn innerhalb eines halben Jahres haben Bürgerinnen und Bürger 100 000 Euro für eine Neukonzeption der Nutzung, für technische Aufrüstungen, bauliche Veränderungen, Gebäudeertüchtigungen, Umbau und den Weiterbetrieb gespendet.
Neues Leben soll in das altehrwürdige Gemäuer einziehen. Doch halt, grätscht Julian Feil von der Initiativgruppe sofort dazwischen: „Tot war das Blarer nie.“ Selbst während der Corona-Zeit wurde ein wenn auch bescheidenes Leben aufrecht erhalten, wie zuletzt bei der Podiumsdiskussion der beiden großen christlichen Kirchen und der Eßlinger Zeitung mit den OB-Kandidatinnen und Kandidaten. Auf diesen Erfahrungen möchten die Verantwortlichen aufbauen. Erstes Finanzierungsziel, so rechnet Kirchenpfleger Frank Kaltenborn von der Evangelischen Gesamtkirchengemeinde vor, seien 800 000 Euro. Davon sollen 550 000 Euro an Spenden zusammenkommen. Mit diesem Geld werde die erste Phase des Rettungsplanes für „das Blarer“ finanziert. Angedacht sind konkret Verbesserungen des Brandschutzes, der EDV-Ausstattung, der Verdunkelung der Räumlichkeiten, der Bodenbeläge oder der Trennwände. Mitte nächsten Jahres wird nach jetziger Planung mit der Umsetzung begonnen. Zuerst werde wohl die Medientechnik aus- und aufgebaut. Für kulturelle Veranstaltungen, so präzisiert Ulrike Gräter von der Initiativgruppe, sei die Akustik im Blarer optimal. Nur bei Vorträgen oder anderen Wortveranstaltungen seien die Referenten schwerer zu verstehen. Dieses Manko soll in Phase Eins des neuen Konzeptes behoben werden. Für das zweite Modul auf dem Weg hin zum „neuen Blarer“ werden etwa sieben Millionen Euro für bauliche Veränderungen benötigt. Die Höhe der Summe klinge illusorisch und visionär, meint Frank Kaltenborn. Doch der erste Spendenerfolg mit dem Erreichen der 100 000-Euro-Marke stimme optimistisch. In dieser zweiten „Umbau-Phase“ kämen die Garderoben, Künstlerumkleiden und die Neugestaltung des Erdgeschosses an die Reihe. Eingriffe in die Bausubstanz stehen dann zwar auch auf dem Plan, aber der eigentliche Baukörper und sein Volumen werden nicht angetastet. Auf diese Weise soll das Haus der vielen Erinnerungen nicht nur weiterleben, sondern mit noch mehr Leben gefüllt werden. Der 90. Geburtstag im letzten Jahr konnte wegen der Pandemie nicht gefeiert werden. Die Festlichkeiten für dieses runde Wiegenfest werden laut Uwe Mönninghoff von der Initiativgruppe am Freitag, 22. Oktober, nachgeholt. Auf dem Programm stehen nicht Festreden, Grußworte und Gratulationen, sondern originelle Extras, die er aber nicht verraten will. Weitere Veranstaltungen etwa in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Erwachsenenbildung im Landkreis Esslingen sind geplant. Auf Dauer werde der Betrieb jedoch nicht mit ehrenamtlichen Kräften zu stemmen sein, betont Uwe Mönninghoff. Daher werde sich auf längerfristige Sicht hauptamtliches Personal um Programm, Inhalte und Technik kümmern. Viele Hoffnungen werden ins „neue Blarer“ gesetzt. Esslingen brauche dringend eine solche Location für Kulturveranstaltungen, betont Christel Köhle-Hezinger von der Initiativgruppe. Das Neckar Forum allein könne mit seinen hohen Mietpreisen den Bedarf nicht auffangen. Sie hoffe, dass sich auch die Stadt Esslingen unter einem neuen Stadtoberhaupt an den Kosten für die Aufrüstung des Gebäudes beteiligt. Bernd Weißenborn unterstreicht zunächst das Positive: 100 000 gespendete Euro für „Das neue Blarer“ sieht der evangelische Dekan als positives Zeichen in Zeiten, in denen „Kirche nicht die beste Presse“ habe. In der „immer kleiner werdenden Kirche“ würden sich immer weniger Menschen verortet, verwurzelt und heimisch sehen. Gegen diesen Zeitgeist würde „Das neue Blarer“ ein Zeichen setzen. „Wir sind nicht am Ende, denn wir machen uns auf den Weg.“
„Das neue Blarer“ soll nach Angaben der Verantwortlichen ein Haus der Kirche und der Stadtgesellschaft sein, sich zugleich aber auch der Pflege einer gemeinsamen Wertekultur verpflichtet sehen. Die Ausgestaltung der Vision ist noch im Werden: „Während und nach einer ersten Renovierung bis Ende 2022 entstehen Konzept und Profil des neuen Hauses, das für das neue Profil organisatorisch und auch baulich neu aufgestellt wird.“ In einer ersten Phase soll das Gebäude für Kosten in Höhe von etwa 800 000 Euro bis gegen Ende des Jahres 2022 renoviert werden, ohne in die Gebäudestruktur einzugreifen. In einer zweiten Phase werden dann auch bauliche Veränderungen umgesetzt. Dafür werden nach jetziger Planung etwa sieben Millionen Euro benötigt. Weitere Informationen unter https://www.dasneueblarer.de