Foto: Roberto Bulgrin
Die Esslinger Firma Boley ist längst Geschichte. Doch auf dem sogenannten Boley-Areal an der Ecke Berliner/Mettinger Straße arbeitet immer noch ein Industriebetrieb. Nun plant Citizen Machinery Europe als der wohl letzte produzierende Betrieb die Innenstadt zu verlassen.
Es ist bereits mehr als zehn Jahre her, als die Bagger an der Ecke Berliner/ Mettinger Straße anrückten und eines der prägenden Gebäude am Esslinger Altstadtring abrissen – das einstige Verwaltungsgebäude der Firma Citizen Machinery Europe (CME), in der einige Jahre zuvor die Traditionsfirma Boley aufgegangen war. Seither liegen die Flächen in bester zentraler Lage brach, sie gehören nicht mehr dem Unternehmen. Auf dem Rest des Geländes in Richtung Mettingen ist der Maschinenbaubetrieb aber noch immer zugange. Allerdings nicht mehr lange: CME will Esslingen verlassen.
„Viele, darunter auch Kunden, sagen uns: Es ist doch schön in Esslingen“, erzählt Markus Reißig, Geschäftsführer von Citizen Machinery Europe. Für den 64-Jährigen ist das Betriebsgelände seit mehr als 30 Jahren sein Arbeitsplatz. Man werde die Innenstadt auch vermissen räumt der CME-Chef ein. Aber nun plane man für die nächsten 30 Jahre – und die sieht die Firmenspitze in Ostfildern.
Bis Ende 2026 soll die Zentrale in das neue Gewerbegebiet Scharnhausen West verlegt werden. Vor einigen Wochen gaben der CNC-Drehmaschinenhersteller und die Stadt bekannt, dass ein Kaufvertrag über ein 8800 Quadratmeter großes Grundstück unterzeichnet worden sei.
Das derzeitige Firmengelände in Esslingen ist mit etwa 8000 Quadratmetern nicht viel kleiner – doch die Innenstadtlage, die in den Mittagspausen ihre Vorteile hat, wird für den Betrieb zunehmend ein Hemmnis. „Die Maschinen werden immer schwerer“, sagt Reißig. Weil die Traglast der Bestandsgebäude das nicht mitmache, können einige Maschinen im Ausstellungsraum in der Firmenzentrale gar nicht gezeigt werden. Zudem sorge der Industriebetrieb mitten in der Stadt mit ihren beengten Verhältnissen für Konflikte. „Bei uns fahren jeden Tag zig Lastwagen ein und aus“, sagt Reißig.
Diese Konflikte wird es im Gewerbegebiet Scharnhausen West nicht geben. Als weitere Vorteile sieht Reißig die Nähe zum Flughafen und zur Autobahn. Zudem könne in den neuen Räumen nachhaltiger gewirtschaftet werden. Und die Belegschaft kann wachsen. Derzeit arbeiten 84 Personen für Citizen Machinery Europe, am Standort Esslingen sind es laut Reißig 55. Die Zukunftsplanung für Ostfildern sieht 70 Mitarbeitende vor – wenn auch nicht gleich nach dem Umzug.
CME gehört zum japanischen Konzern Citizen Holdings und organisiert Vertrieb, Anpassung an Kundenwünsche und Service der Werkzeugmaschinen im deutschsprachigen Raum, den Beneluxstaaten und Osteuropa. Produziert wird in Esslingen bereits seit 2008 nicht mehr, seit die letzte Boley-Maschine verkauft wurde. Der japanische Konzern hatte das Esslinger Unternehmen 1992 gekauft, seither hat es mehrere Umfirmierungen gegeben. Von Boley zeugt mittlerweile nur noch ein Firmenschild in der Halle an der Mettinger Straße, in der die Maschinen für die hiesigen Kunden vorbereitet werden: An einer Wand hängt das alte Firmenschild mit dem Schriftzug Boley in Gelb auf blauem Grund.
Reißig erinnert sich an die Anfänge in Esslingen: „Das war keine einfache Zeit.“ Viele Boley-Mitarbeitende hätten nicht verstanden, warum sie von einer japanischen Firma aufgekauft worden seien. Doch der Traditionsbetrieb, der 1870 als Hersteller von Uhrmacherwerkzeugen gestartet war, habe es verschlafen sich weiterzuentwickeln, technologisch mit Mitbewerbern nicht mehr mithalten können. 2008 wurde die Produktion in Esslingen geschlossen.
CME steht derzeit vor ähnlichen Herausforderungen wie seine Mitbewerber, zu denen auch die Esslinger Index-Werke zählen. „Der Markt ist gerade schwach“, sagt Markus Reißig. Allerdings sei man im Maschinenbau ein Auf und Ab gewöhnt. Die Gruppe sei Weltmarktführer bei Langdrehautomaten, zu den Kunden zählten Branchen wie Medizintechnik, Schmuckindustrie, Autoindustrie oder Lohnfertiger. 2023 sei bislang das beste Jahr für CME gewesen, der Umsatz habe bei etwa 100 Millionen Euro gelegen. 2024 seien es etwa 60 Millionen gewesen. Obwohl zuletzt weniger Maschinen verkauft wurden, gibt es bei Citizen Machinery Europe im Gegensatz zu Mitbewerbern keine Kurzarbeit. Das liege auch daran, dass CME keine eigene Produktion habe, erklärt der Geschäftsführer. Servicetechniker brauche es immer. In den technischen Bereichen werde das Unternehmen künftig weiteres Personal benötigen, erklärt Reißig.
Was nach dem Auszug von Citizen Machinery mit dem Gelände an der Mettinger Straße passiert, das hängt vom künftigen Eigner ab – die Firma wolle verkaufen, sagt Reißig. Hierzu sei der Makler auch mit der Stadt Esslingen im Gespräch, die bei dem Gelände in bester Innenstadtlage freilich mitsprechen will. Derweil hat sich auf dem bereits veräußerten Teil des Areals direkt an der Berliner Straße seit langem nichts getan. (gg)