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Gemeinschaft ist der Baustein

Foto: Roberto Bulgrin

Sie wollen Schluss machen mit gewohnten Wohnformen. Eine 40-köpfige Gruppe möchte in Esslingen-Hohenkreuz in vier zusammen­hängenden Häusern eine alternative Form gemeinschaftlichen Lebens erproben.

 

Heraus aus dem stillen Kämmerlein – hinein in ein pulsierendes Lebensumfeld:   36 Erwachsene und zehn Kinder experimentieren mit dem  Kommunengedanken. Im nördlichen Esslinger Stadtteil  Hohenkreuz  möchte die  Gruppe solidarisches Wohnen erproben und in vier noch zu errichtenden Häusern nahe der Palmstraße im Tobias-Mayer-Quartier ein gemeinschaftliches Leben mit Rückzugsmöglichkeiten und Individualisierungschancen führen.
„Corona hat mir gezeigt, dass wir alle Unterstützung brauchen.“ – „Meine Vierzimmerwohnung ist viel zu groß für mich.“ – „Ich möchte Leben und junge Menschen um mich herum haben.“ So unterschiedlich  wie die Gründe für ihre Teilnahme an dem alternativen Wohnprojekt ist auch die Zusammensetzung der  künftigen Bewohner. Alleinerziehende, Familien, Paare, Singles, Senioren und junge Menschen planen gemeinsam ihre gemeinsame Zukunft. Sie haben  laut der Projektbeteiligten Katja Hasse unter Vermittlung des  Vereins Alternatives Wohnen Esslingen (ALWO) zusammengefunden und auch über dessen Homepage Kontakt zueinander aufgenommen. Die Zusammensetzung der Bewohnergruppe werde sich bis zum Einzug sicher noch verändern – doch auch Fluktuationen lösen Dynamik beim Wohnexperiment aus.
Geduld müssen  aber alle Beteiligen  mitbringen. Im April 2025 soll der symbolische erste Spatenstich für die vier zusammenhängenden Mehrfamilienhäuser mit fünf, drei und zweimal vier Stockwerken im Tobias-Mayer-Quartier erfolgen. Der Einzug ist für September 2026 vorgesehen. Bis dahin  wollen die Beteiligten die Weichen  dafür stellen,  ihr Projekt aufs richtige Gleis zu bringen. So  wurden Arbeitsgemeinschaften für Ablauf und Organisation ihres künftigen Zusammenlebens gebildet, sagt  Katja Hasse. Einzelne Teams kümmern sich um Kommunikationsfelder, Öffentlichkeitsarbeit, Bauen oder Finanzen.
Die künftige Hausgemeinschaft ist von ihrem Konzept überzeugt: „Teilen statt besitzen – wir wollen Synergieeffekte nutzen.“ – „Immobilien als Gemeinschaftseigentum  verhindern Mietspekulationen.“ – „Das Projekt bietet ein sicheres Wohnen ohne Einwirkungsmöglichkeiten von gewinnorientierten Investoren.“ Anstöße für ihr Experiment nennen sie viele.   Gemeinschaft  aber ist  der alle  verbindende  Baustein.  
Nach seiner Fertigstellung werden in dem Häuserensemble mit  seinen gut 3000 Quadratmetern Fläche etwa 90 Menschen leben, ergänzt die Projektbeteiligte Elke Endriss. Verschiedene Wohnformen sind möglich. Eine Wohngemeinschaft mit acht Zimmern kann in dem Häusertrakt gebildet werden. Aber es gibt auch Clusterwohnungen. Einzelzimmer mit jeweils einer  Kochnische und  einem Sanitärbereich  schaffen in Kombination mit großen Gemeinschaftsflächen  ein individualisiertes Miteinander. Auch Apartments sind angedacht.  45 Quadratmeter werden Einzelpersonen zustehen. Ein zweiter  Mitbewohner bekommt nochmals 20 Quadratmeter,  15  Quadratmeter gibt es für jede weitere Person.  Treffen können sich alle Mieter im „Wurzelwerk“ –  gemeinsamen  Flächen mit Dachterrasse, Garten und Großküche.
 Im Erdgeschoss der vier Häuser wird nach jetziger Planung auch Raum für kommerzielle oder andere Aktivitäten sein: eine Kita, ein Jugendtreff, ein Co-Sharing-Space oder Ladenflächen wären möglich. Eine Tiefgarage sei zwar angedacht, so Hasse, könne aber auch noch gestrichen und durch ein Carsharing-Modell ersetzt werden. Eine Verbundenheit und Zusammenarbeit mit dem gesamten Tobias-Mayer- Quartier wird ebenfalls angestrebt.  
Die Hohenkreuz-Pioniere haben ganz unterschiedliche Motive für ihr Mitmachen: „Ich möchte mein Wohnumfeld aktiv selbst mitgestalten können.“ – „Wir nutzen Rohstoffe gemeinsam und nachhaltig.“ – „Wir sehen uns als Leuchtturmprojekt und wollen Inspiration und Anregung zu ähnlichen Aktionen geben.“ Die Häuser werden selbst verwaltet, und Entscheidungen sollen im Plenum getroffen werden. Harmonisch möchte die Gruppe ihre Zukunft planen. Doch Disharmonie kann bei Fragen nach Putzdiensten, Übernahme von Gemeinschaftsarbeiten, Nutzung  kollektiver Flächen oder Ausgestaltung der Immobilie aufkommen.  Hier setzten die Beteiligten auf den verbindenden Wunsch nach einem bestimmten Wohngefühl, auf die gemeinsame Begeisterung für eine solidarische Lebensform, Verantwortungsgefühl und Kompromissbereitschaft, sagt Katja Hasse: „Konflikte sind normal und gehören zur Beziehungspflege.“ Eine konstruktive Streitkultur müsse entwickelt, Wünsche  müssen ernst genommen,  Streitpunkte ausdiskutiert werden. Im Bedarfsfall könne auch die Hilfe externer Mediatoren und Schlichter in Anspruch genommen werden. Es würde ja auch professionelle Streitschlichter geben. Doch an Unstimmigkeiten denken die künftigen Bewohner nicht. Sie halten ihre Vision für stimmig: „Wir verhindern Mietspekulationen.“ – „Die Gemeinschaft soll generationenübergreifend, solidarisch und kooperativ sein.“ – „Wir erhalten bezahlbaren Wohnraum.“ (sw)