Foto: Roberto Bulgrin
April-Blues – nein danke. Die Wetterkapriolen und Witterungsumschwünge des launischen Monats können aufs Gemüt schlagen. Doch dagegen ist ein Kraut gewachsen. Oder besser gesagt: Es sind Stauden, die in den nächsten Wochen und Monaten die Optik der Esslinger Weinberge oberhalb des Stadtteils Mettingen aufpeppen und für eine Gute-Laune-Wohlfühlatmosphäre sorgen sollen. Über 600 Pflanzen haben Jochen Clauß, Margit Rapp und weitere Kollegen vom Staffelsteiger-Verein gepflanzt, um Vorfrühlingstristesse an den fast noch kahlen Reben gar nicht erst aufkommen zu lassen. Die Stauden sind aber nicht nur schön, sondern auch funktional – und sie könnten sogar den umstrittenen Unkrautvernichter Glyphosat ersetzen.
Klein sind sie. Aber auch leuchtend blau. Mit ihrer farblichen Strahlkraft machen die Pflanzen am Rande des Weinbergs beim Staffelsteigerplatz über Mettingen ihre fehlende Größe locker wett. „Das sind Bauernbüble, denn sie sind genauso unverwüstlich, robust und widerstandsfähig wie Landwirte – oder wir Wengerter“, klassifiziert Margit Rapp, die Zweite Vorsitzende des Staffelsteiger-Vereins, die Pflanzen. Traubenhyazinthen heißen die Blumen auch, ergänzt der Vorsitzende Jochen Clauß. Doch der Verein hat auch Pfingstnelken, Schwertlilien, Thymian oder Mauerpfeffer entlang des Weinerlebniswegs von Mettingen in Richtung Esslinger Frauenkirche auf dem Neckarhaldenweg und dem Felsenweg gepflanzt.
Benutzt wurden Sorten, die schon früher in den Weinbergen zu finden waren, berichtet Jochen Clauß. Von der Umweltakademie Baden-Württemberg hat sich der Verein im Rahmen der Aktion „Lebendiger Weinberg“ blumige Tipps geholt, eine Spezialgärtnerei in Ludwigsburg hat die Pflänzchen geliefert. Angepflanzt wurden sie an Randzonen, Wegrändern, am Ende von Rebzeilen oder vor den Trockenmauern, für deren Erhalt der Staffelsteiger-Verein zuständig ist. Er feiert in diesem Jahr seinen zehnten Geburtstag und wollte daher zur Aufhübschung der Weinberge beitragen.
Doch Schönheit allein ist nicht entscheidend. Durch das Einsäen der Stauden wird laut Jochen Clauß zudem ein Nahrungsangebot für Insekten geschaffen. Die Pflanzaktion soll die Artenvielfalt bewahren, das Landschaftsbild bereichern, die Lebensbedingungen von Pflanzen und frei lebenden Tieren verbessern. Die umweltverträgliche Gestaltung der Weinberge diene der Nachhaltigkeit, ohne die Produktion zu beeinträchtigen. Ökologie und Ökonomie könnten so Hand in Hand gehen. Er und seine Winzerkollegen werden nicht viel Arbeit mit den neu gepflanzten Stauden haben, meint Jochen Clauß: Man dürfe sie halt nicht ummähen. Aber da hat er wenig Bedenken. Die Arbeit an den Steilhängen sei sowieso mit Maschinen schwer zu bewältigen – das meiste sei Handarbeit.
Die Pflanzung der Stauden ist auch eine Geschmacksfrage, da die Weinberge so zu einem noch größeren Augenschmaus gemacht werden sollen. Die Pflanzen könnten aber auch Glyphosat ersetzen, sagt Jochen Clauß. Gegen Jahresende, so die Schätzung des Winzers, werde der als möglicherweise krebserregend in die Schlagzeilen geratene Unkrautvernichter in Deutschland wohl verboten. Dann müsste das Herbizid durch das Mähen etwa mit einem Freischneider oder einer Motorsense ersetzt werden: „Ob dieser Einsatz umweltfreundlich ist, darüber lässt sich streiten.“ Zudem würde es Lärm verursachen. Es könne aber andere Alternativen geben. Durch das Bepflanzen der Weinberge mit den Stauden entstehe eine flächendeckende Blumendecke, die Gras und Unkraut das Licht zum Keimen entziehe und es an einer Ausbreitung hindere. Glyphosat könne dadurch überflüssig werden. Diesen Effekt gelte es zu beobachten.
Ein zartes Versuchspflänzchen soll die Pflanzaktion nicht bleiben. In den nächsten Jahren, sagt Margit Rapp, werden weitere Stauden eingesät. Platz dafür gibt es genug, ergänzt Jochen Clauß: Etwa 25 Hektar Fläche werden im Terrassenweinbau bewirtschaftet. Dieses Natur- und Kulturerbe soll für künftige Generationen erhalten und die Öffentlichkeit soll dafür sensibilisiert werden. Denn die historische Bedeutung sei enorm. „Ohne uns Wengerter würde es Esslingen gar nicht geben“, sagt Margit Rapp. Im 13. und 14. Jahrhundert seien Weinreben auf etwa 1200 Hektar Fläche angebaut worden: „Der Wein war ein florierender Exportartikel, da durch Esslingen die Handelsstraße von Flandern nach Italien führte. Der Esslinger Wein wurde in Wien, Innsbruck oder Salzburg getrunken.“ 1486 habe der städtische Rat erklärt, dass das „Gewerbe der Stadt ganz auf Wein“ beruhe. Doch schon im 15. Jahrhundert wurde die Winzeridylle verwässert: Dem Rebanbau sollte Einhalt geboten werden, da auch Wiesen, Viehweiden und Äcker für die Versorgung der Bevölkerung notwendig waren. Die Rebfläche reduzierte sich laut Margit Rapp vom 16. bis Anfang des 18. Jahrhunderts auf 500 Hektar. Doch es sind genügend Flächen geblieben, die schön und funktional gestaltet werden können. (sw)