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Abitur und Gemeinschaftsschule – diese Kombination ist noch immer exotisch. Die Schule Innenstadt ist eine von insgesamt acht Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg, an der das allgemeine Abitur möglich ist. Die Schülerinnen und Schüler haben dafür ein Jahr länger Zeit als ihre Kommilitonen an den allgemeinbildenden Gymnasien mit G 8. Der erste Jahrgang der Innenstadtschule hat die einjährige Einführungsphase der Oberstufe, eine Besonderheit der Gemeinschaftsschulen, bereits hinter sich und ist jetzt in der Jahrgangsstufe eins. Die gibt es genauso an den G-8-Schulen. Der einzige Unterschied ist, dass die Schüler dort in der elften Klasse sind. Anforderungen, Lehrplan und später die Abi-Prüfungen sind ansonsten an beiden Schularten exakt gleich.
Laurenz Rapp hat den Wechsel in die Jahrgangsstufe gut gemeistert – auch wenn es eine Herausforderung war. „Das Niveau hat angezogen und man muss zulegen“, sagt der stellvertretende Stufensprecher, „aber wir haben an der Gemeinschaftschule gelernt, uns selbst zu organisieren und selbstständig Stoff nachzuholen.“ Er ist ein gutes Beispiel dafür, dass an der Gemeinschaftsschule vieles möglich ist und Lernen auf unterschiedlichen Niveaus nicht im Widerspruch zu Leistungsbereitschaft steht. In den unteren Klassen hat Laurenz Rapp in vielen Fächern auf dem G-Niveau gelernt, das üblicherweise zum Hauptschulabschluss führt. Vor allem Deutsch war sein Problem. Heute belegt der Zwölftklässler genau dieses Fach neben Mathe und Gemeinschaftskunde als Leistungsfach – und hat es nicht bereut.
„Sich individuelle Lernziele zu setzen und daran zu arbeiten, wie man sie erreicht – das kennen wir seit der fünften Klasse“, erzählt er. Eine wichtige Rolle würden die Lehrer spielen, die an der Gemeinschaftsschule die Rolle von Lerncoaches haben. Gestartet ist der erste Oberstufen-Jahrgang mit 34 Schülerinnen und Schülern, davon sind nach den Sommerferien 28 in die Jahrgangsstufe gewechselt. „Die jetzt noch da sind, sind hoch motiviert und wollen das Abi“, ist Rapp überzeugt. Unter den Abgängern seien einige, bei denen sich der Anfahrtsweg zur Schule als zu kompliziert herausgestellt hat oder die doch lieber eine Ausbildung machen wollten, berichtet die Schulleiterin Christel Binder. Überhaupt stelle sich die Verkehrsanbindung immer wieder als Hürde heraus.
Wie groß trotzdem das Interesse an der gymnasialen Oberstufe ist, habe sich aber am Tag der offenen Tür gezeigt. Gedacht ist er eigentlich für die Familien von Viertklässlern auf der Suche nach einer weiterführenden Schule. „Es sind aber auch viele ältere Schülerinnen und Schüler gekommen, um sich gezielt über das Abitur bei uns zu informieren“, berichtet Julia Lachmann, Abteilungsleiterin der Schule.
Zwei Jahrgänge mit jeweils zwei Zügen
50 Schülerinnen und Schüler umfasst der zweite Jahrgang, der jetzt die 11. Klasse besucht. Einer von ihnen ist Georg Matthis, der seit der 5. Klasse an der Schule ist und sich mit einer Empfehlung fürs Gymnasium bewusst für die Gemeinschaftsschule entschieden hat. „Hier hat man die besseren Optionen, alles ist möglich“, sagt er. Es sei ein Vorteil, dass es in der Oberstufe ein Jahr mehr Zeit gibt. Viele würden gerade das erste Jahr nutzen, um Lücken aufzuholen. „Alle haben das Ziel vor Augen und sind hoch motiviert“, berichtet der Elftklässler, „viele haben sich dramatisch verbessert.“ Für Julia Lachmann ist das nicht ungewöhnlich. „Die Schülerinnen und Schüler entscheiden sich bewusst für diesen Weg“, sagt die Lehrerin, „sie werden dadurch auch reifer“. Bei den Leistungsfächern kooperiert die Schule Innenstadt mit den anderen Gymnasien. „Uns war wichtig, dass wir mit Sport und Bildende Kunst auch eigene Kooperationsfächer anbieten“, sagt Binder. Das Verfahren, dass Schüler für einzelne Fächer, die sonst nicht zustande kommen würden, zu einer anderen Schule pendeln, ist in Esslingen seit Jahren üblich. Die Schule Innenstadt profitiert von dem Austausch. „Die Schüler, die in Kooperation sind, habe viele tolle Ideen für den Schulalltag mitgebracht“, erzählt die Schulleiterin.
Kooperation mit anderen Gymnasien bei den Leistungsfächern
2024 werden Laurenz Rapp und seine Stufe als erste Esslinger Gemeinschaftsschüler das Abi machen. Auch für die Schulleitung ist das eine Herausforderung, sagt Christel Binder, denn sie muss erstmals Abschlussprüfungen für drei Schularten organisieren. Die Vorbereitungen laufen bereits. (pep)