ANZEIGE
Kategorien
Seite 3 Redaktion

Das „Poppinski“ bittet die Gemeinschaft

Foto: Roberto Bulgrin

Sie wollten in ihrem Geschäft nicht nur handgefertigte Designprodukte verkaufen, sondern auch einen belebten Ort, ein Kollektiv gründen: Mit diesen Zielen haben Anika Roll und Larissa Banse Ende 2019 das „Poppinski“ in der Esslinger Küferstraße eröffnet. Keine einfache Zeit für ein neues Einzelhandelsgeschäft, wie sich in den Monaten darauf herausstellte, als das Coronavirus massive Einschränkungen des öffentlichen Lebens mit sich brachte – und direkt danach der Ukrainekrieg große Preissteigerungen. Nun suchen die zwei 33-jährigen Betreiberinnen Hilfe, um von ihrem Geschäft leben zu können. Sie wollen das Konzept der solidarischen Landwirtschaft auf den Einzelhandel übertragen. Das „Poppinski“ bietet Schmuck, Textilien, Möbel, Keramik, Lebensmittel und andere handgefertigte Produkte aus kleinen Manufakturen in Baden-Württemberg an. Es gibt auch die Möglichkeit, vor Ort einen Kaffee oder eine Limonade zu trinken. Wichtig ist den Eigentümerinnen der nachhaltige Aspekt, die Waren legen nur kurze Wege zum Käufer zurück, einige Hersteller verfolgen Konzepte des Upcycling, der Ressourcenschonung und des fairen Handels. Roll, die gelernte Hutmacherin ist, bietet selbst genähte Kissen an. Goldschmiedin Banse stellt Ringe und Ohrringe aus recyceltem Gold und Silber her. Das Konzept stößt auf Beifall der Kunden. Von Beginn an hätten die Einnahmen die Ausgaben gedeckt, betont Anika Roll. Mehr aber leider nicht. „Es ist einfach sehr kräftezehrend für uns“, schildert Roll die aktuelle Situation. Eigentlich hatte ihr Plan vorgesehen, dass sie sich nur vorübergehend mit Nebenjobs über Wasser hielten, um sich nach zwei Jahren Betrieb dann ein Gehalt auszahlen zu können. Doch das ist bis heute nicht möglich. Das „Poppinski“ hat derzeit an fünf Tagen pro Woche sechs Stunden lang geöffnet. Dazu kommen freilich noch Stunden, in denen sich die Inhaberinnen mit den Aufgaben jenseits des Verkaufs, beispielsweise mit der Buchhaltung auseinandersetzen. Ihren Lebensunterhalt verdienen Roll und ihre Geschäftspartnerin Larissa Banse aber beide mit einem 50-Prozent-Job in einem Café. „Wir haben bemerkt, dass wir einen anderen Weg finden müssen, um unser Ziel weiterverfolgen zu können“, erzählt Roll. Weil die Designprodukte im Verkauf eine relativ niedrige Gewinnmarge haben, müsse das „Poppinski“ den Umsatz steigern. Eine Möglichkeit wäre den Inhaberinnen zufolge gewesen, noch weitere Produkte ins Sortiment aufzunehmen, mit denen sich mehr Gewinn machen ließe – also aus der Serienproduktion. „Dann hätten wir aber von unserer Philosophie abweichen müssen. Das wollten wir nicht“, so Roll. Daraufhin kamen die beiden Geschäftsinhaberinnen auf die Idee, das Prinzip der solidarischen Landwirtschaft auf den Einzelhandel zu übertragen und letztlich ihre Kunden um Hilfe zu bitten. Grundgedanke der solidarischen Landwirtschaft ist, dass eine Gemeinschaft dem Landwirt und seinen Mitarbeitern einen auskömmlichen Lebensunterhalt garantiert, oft wird ein monatlicher Betrag ausgehandelt, mit dem den Beteiligten ein Anteil an der Ernte garantiert wird. Die Ausgestaltung ist unterschiedlich, mal sind die Ernteteiler mehr, mal weniger an Entscheidungsprozessen beteiligt. „Für uns war auch die größte Frage, wie wir das Konzept umsetzen, weil es noch nicht viele Vorbilder im Einzelhandel gibt“, sagt Larissa Banse. Letztendlich entschieden sie und ihre Geschäftspartnerin sich für ein System mit Gutschriften: Interessierte Kundinnen und Kunden können einen selbst gewählten monatlichen Betrag einzahlen, den sie im Laden einlösen können – oder auch nicht. So können Roll und Banse mit einem festen Umsatz rechnen und die Kundinnen und Kunden haben einen zusätzlichen Anreiz, um ins „Poppinski“ zu kommen. Eine Beteiligung an betriebswirtschaftlichen Entscheidungsprozessen oder eine Gewinnbeteiligung ist nicht geplant. Allerdings wollen die „Poppinski“-Damen für die Mitglieder ihrer Gemeinschaft spezielle Angebote wie Verkostungen und Manufakturbesuche machen und freuen sich eigenen Aussagen zufolge auf Anregungen. Die Eignerinnen hoffen darauf, so mehr Zeit und Energie in ihre Projekte stecken zu können und die Öffnungszeiten auszuweiten. Auch das Veranstaltungsprogramm, das aufgrund der Coronapandemie erst im vergangenen Jahr mit ein paar Konzerten und einem Hofflohmarkt starten konnte, soll ausgeweitet werden. Am kommenden Dienstag, 21. Februar, soll eine sogenannte Bietrunde stattfinden, bei der sich Interessierte für die Gemeinschaft anmelden können und die Anteile ausgehandelt werden. Auch online ist es möglich beizutreten. Es gebe bereits an die 30 Anmeldungen. Die bisherigen Zusagen umfassen den Gründerinnen zufolge etwa ein Viertel des Umsatzes, den sie bräuchten, um ihr Angebot so ausweiten zu können, wie sie es sich vorstellen. Sollte das nicht klappen, wollen Roll und Banse aber nicht den Kopf in den Sand stecken. „Wenn der Betrag am Dienstag nicht zusammenkommen sollte, geht der Gemeinschaftsaufbau weiter“, kündigt Roll an. Das „Poppinski“ ist nicht das einzige Einzelhandelsgeschäft in Esslingen, das neue Wege geht, um seinen Fortbestand zu sichern. So kann der Buchladen Die Zeitgenossen in der Strohstraße weiter machen. Dessen Gründer Bert Heim ist eine Institution in Esslingen. Doch mit 74 Jahren war es für ihn an der Zeit, etwas kürzerzutreten. Weil sich kein klassischer Nachfolger fand, taten sich Kunden und Freunde zusammen. Nun sichert eine Genossenschaft den Betrieb mit einem festangestellten Mitarbeiter. Die Genossen haben Einlagen von mindestens 250 Euro geleistet, können sich in den Betrieb einbringen und sind an den wichtigsten Entscheidungen beteiligt.