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Die Queen trug ihn zu jedem öffentlichen Anlass, Udo Lindenberg setzt ihn bei seinen Konzerten auf, und für den Künstler Joseph Beuys war er schlicht sein Markenzeichen: der Hut. Doch zugleich geriet die stilvolle Kopfbedeckung in eine Krise, als John F. Kennedy 1961 der 35. Präsident der Vereinigten Staaten wurde. „Mit Kennedy hat das hutlose Dasein eingesetzt“, sagt Martin Bühler. Zuvor hätten Politiker grundsätzlich Hut getragen, das sei so selbstverständlich gewesen wie Schuhe. Bühler muss es wissen. Der 70-Jährige führt in vierter Generation das Hutgeschäft Carl Bühler an der Inneren Brücke in Esslingen. 1892 von seinem Urgroßvater gegründet, wird er es nun zum 31. März schließen. Damit verliert die Stadt Esslingen ein weiteres Traditionsgeschäft.
Bühler steht im leeren Laden und blickt durchs Schaufenster auf die kahlen Bäume draußen. Es sei die schönste Lage in der ganzen Stadt. „Ich sehe auf die beiden Kanäle, das Amtsgericht – und wenn die Bäume blühen.“ Nun werde er den Laden in dem ursprünglich 1750 errichteten Haus verkaufen. In der Familie gibt es keinen Nachfolger. Seit zehn Jahren trage er sich mit dem Gedanken, Abschied zu nehmen. Sechs Tage die Woche im Laden stehen, der letzte Urlaub vor fünf Jahren, der vorletzte vor zehn, dazu seit drei Jahren Knieprobleme – nun sei es Zeit, in Rente zu gehen und all das zu machen, was er schon immer gerne wollte. „Irgendwann hat man damit abgeschlossen“, sagt er.
Bühler hatte zunächst nicht vor, in die Fußstapfen seiner Vorfahren zu treten. Er studierte Volkswirtschaft in Tübingen und Kiel. Als sein Vater Hans in Rente ging, übernahm er 1990 den Laden. „Aus Tradition und Verpflichtung“ habe er bislang weiter gemacht. Nur weil er im eigenen Haus keine Miete bezahlen müsse, sei es seither gegangen. Ursprünglich gab es Bühler zufolge in Esslingen 20 Hutgeschäfte, er selbst kenne noch fünf davon. Zu den Blütezeiten hatte das Geschäft auf der Inneren Brücke fünf Angestellte, darunter Modistinnen. Bis vor 30 Jahren hätten diese noch Hüte gefertigt, seitdem werden fertige Exemplare verkauft.
Bühler steht an der Registrierkasse von 1909. Firmengründer Carl Bühler hatte sie einst angeschafft. Heute klingelt sie nur noch selten. Nicht nur die Liebe zum Hut hat sich verändert, auch die Zahlgewohnheiten der Kundschaft. „90 Prozent bezahlen mit der Karte“, sagt Bühler. Er lebe hauptsächlich von der Laufkundschaft. Stammkunden habe er vielleicht 20. Darunter zähle er jene, die sich im Sommer und im Winter einen Hut kaufen sowie eine Mütze und Strickmütze. „Sie merken jedes Grad, wenn es wärmer wird“, sagt Bühler. Früher seien die Menschen zwischen Weihnachten und Neujahr zum Hutkauf gekommen, aber warme Winter seien nicht förderlich für sein Geschäft. Corona habe die Lage noch verschärft. Für viele sei es Gewohnheit geworden, im Internet zu bestellen.
Sein Sommersortiment hingegen hat er vergangenes Jahr fast ganz verkauft. Besonders vor der Urlaubssaison sei eine Kopfbedeckung gefragt. Der Schutz gegen UV-Einstrahlung lasse die Menschen zum Hut greifen. „Strohhüte sind luftiger Schutz“, sagt er. Er selbst trage an heißen Tagen beim Golfspielen diesen lieber als eine Sportmütze.
Gerade die Beratung mache ihm Freude. „Da kommt man mit den Leuten in persönlichen Kontakt“, sagt er. Ein Ehepaar betritt den Laden. Der 44-Jährige Kunde lebt seit 2015 in Esslingen. Er hat zwei Hüte. „Beide von Bühler“, meint er. Und auch seine Frau habe eine Schiebermütze. „Hier wird man gut beraten“, meint sie. Dass es der letzte Einkauf hier sein könnte, ahnte sie nicht. Von April an wird es in Esslingen nur noch eine Modistin geben, in der Webergasse. Bühler indes hofft auf eine erfolgreiche Knie-Operation, damit er bald wieder schmerzfrei Golf spielen kann. Natürlich mit Strohhut.