Foto: Roberto Bulgrin
Um Punkt 15.45 Uhr fährt Dirk Fingerle mit der blau-silbernen Eismaschine auf das Herzstück des Richard-Hirschmann-Stadions auf der Esslinger Neckarinsel. Etwa einen halben Zentimeter Eis tragen die Messer, die am Fahrzeug angebracht sind, von der Schlittschuhbahn ab. Gleichzeitig wird frisches Wasser aufgetragen, es gefriert innerhalb kurzer Zeit. „Eigentlich sollte das Wasser im Tank auf 40 Grad erwärmt sein“, erklärt der ehrenamtliche Eismeister. „Aber jetzt hat das Wasser Leitungstemperatur, etwa 13 Grad. Das geht bisher auch ganz gut.“
Wenn Fingerle das Eis auf Vordermann bringt, hat er freie Bahn. Erst nachdem er das Fahrzeug wieder abgestellt hat, gibt er seiner Kollegin das Zeichen: Die etwa 300 Läuferinnen und Läufer dürfen wieder aufs Eis und drehen ihre Runden. Die einen fahren Zickzack durch die Menge, die anderen ordnen sich gemächlich im Strom ein. In dem vereinseigenen Stadion der Eissportgemeinschaft Esslingen (ESG) herrscht Hochbetrieb. Und das ist derzeit wichtiger denn je.
„Es gibt einen Bedarf am Freizeitvergnügen Eislaufen“, sagt der ESG-Vorsitzende Dieter Fingerle. Er und seine Familie, auch Sohn Dirk, werfen alles in die Waagschale, dass die Eishalle die Saison übersteht. Da hilft es enorm, dass sich die Esslingerinnen und Esslinger wieder in großen Scharen die Schlittschuhe schnüren. Zurzeit werden im Richard-Hirschmann-Stadion etwa 1000 Publikumsläufer am Tag gezählt. Das entspricht dem Vor-Corona-Niveau. „Wir sind gottfroh“, sagt Fingerle. „Wegen den gestiegenen Kosten hätte es auch sein können, dass alle sparen und niemand zum Eislaufen kommt. Aber dem ist nicht so.“ Alles andere hätte dem Verein das Genick gebrochen.
Im August war noch nicht klar, ob die Eishalle in diesem Winter überhaupt öffnen würde. Die ESG rechnete damals mit Stromkosten von einem Euro für die Kilowattstunde, etwa viermal mehr als sonst. Zudem kündigte der bisherige Stromanbieter Vattenfall den Vertrag. Seitdem tummelt sich der Verein auf der Strombörse – und fährt ganz gut damit. Wenn der Preis morgens und abends steigt, wird die Kühlung abgestellt. Geht die Kurve nach unten, wird die Anlage wieder gestartet. Teilweise sinkt der Preis im Tagesverlauf um mehr als 20 Cent pro Kilowattstunde. Das spart viel Geld, denn die Kühlung der Eisfläche frisst eine Menge Energie.
In der Vergangenheit kostete der Betrieb pro Jahr etwa 50 000 Euro. Zwar schätzt Fingerle, dass die nächste Rechnung mit mindestens 100 000 Euro doppelt so hoch sein wird. Doch das ist noch immer besser als zunächst befürchtet. Denn wäre der Strompreis nicht moderat gesunken, dann „hätten wir die Reißleine ziehen müssen“.
Auch viele kleinere Maßnahmen machen möglich, dass die Menschen wieder eislaufen können. Zum Beispiel, dass die Eismaschine mit kaltem Wasser fährt. Oder dass die offenen Seiten des Stadions mit Planen abgedichtet werden, weil der zu warme Wind sonst das Eis schmelzen ließe. Auch, dass die Kühlanlage leicht hochgeregelt wurde, spart Energie. Weil die Unsicherheit groß war, gibt es momentan auch keine Dauer- und Zehnerkarten zu kaufen. Doch das alles scheint den Schlittschuhspaß nicht zu dämpfen.
An diesem Nachmittag gleiten Freizeitläufer aller Altersklassen über das Eis, vor allem aber Junge. Kinder schieben ihre Laufhilfen, die wie Eisbären, Pinguine und Zwerge aussehen, übers Eis; Eltern und Begleitpersonen stehen am Rand der Bahn, trinken Kaffee aus Pappbechern oder stehen in der Pommes-Schlange. Oder sie sitzen auf der steinernen Tribüne und beobachten von dort aus das Treiben auf der Bahn.
Gut wie die Esslinger ist auch die Wernauer Eisbahn besucht, sagt die Geschäftsführerin Heike Mack. „Im Publikumslauf sind keine Hürden zu spüren, und die Solidarität trotz Preisanpassung ist sehr groß.“ Eislaufen sei immer noch der günstigste Wintersport. Zudem liegt kein Schnee, nur Schlittschuhlaufen sei möglich, „was den Besuch in den Wintermonaten attraktiv macht“.
Trotz des Publikumszuspruchs sind viel Kraft und Planung nötig, damit das Esslinger Vereinsstadion gut durch die Saison kommt. Gestemmt wird das Ganze von knapp 30 ehrenamtlichen Helfern. Anders als bei anderen Betrieben in der Region hat die ESG kein festes Personal. Damit ihr Stadion erhalten bleibt und sie ihren Sport ausüben können, investieren die Vereinsmitglieder viel Zeit – und Geld. Bei einer Spendenaktion im Verein kam ein beträchtlicher Betrag in fünfstelliger Höhe zusammen. „Ohne dieses Geld würden wir es nicht schaffen“, sagt der Vorsitzende Fingerle. „Wir können nun sicher sagen, dass wir die Saison zu Ende führen werden. Das war am Anfang nicht klar.“