Foto: Roberto Bulgrin
Stadtarchive gelten als das Gedächtnis einer Kommune. Häufig arbeiten Archivarinnen und Archivare im Verborgenen, dabei ist die fachgerechte Lagerung, Ordnung und Erschließung von städtischem Schriftgut, Bild- und Tonmaterial eine kommunale Pflichtaufgabe. Das Esslinger Stadtarchiv, das zu den bedeutendsten im Land gehört, hat sich beim historisch interessierten Fachpublikum und weit darüber hinaus einen Namen gemacht. Stadtarchivar Joachim Halbekann und sein Team wollen die Esslinger Vergangenheit bewahren und für eine breitere Öffentlichkeit greifbar machen. Die Aufgabe ist mit den Jahren immer komplexer geworden. Vor allem die Archivierung digitalen Materials wird mehr und mehr zur Herausforderung.
Das Esslinger Stadtarchiv kümmert sich um alle analogen und digitalen Unterlagen der Stadt und ihrer Eigenbetriebe, bei denen eine dauernde Aufbewahrung aus rechtlichen und/oder historischen Gründen geboten ist. Außerdem werden private Unterlagen, die für die Stadtgeschichte von Bedeutung sind, archiviert. Die Bestände sind kontinuierlich gewachsen: 1978 lagerten im Esslinger Stadtarchiv 820 Regalmeter an Archiv- und Bibliotheksgut – heute sind es 3100 Regalmeter. Sie unterzubringen war nur möglich, weil nahe der Hauptstelle 2006 eine Dependance eingerichtet wurde, die schon wieder erweitert werden musste. In den Beständen finden sich historisch wertvolle Unterlagen der Reichsstadt Esslingen vom 13. Jahrhundert bis 1802/03 ebenso wie kommunale und private Bestände des 19. und 20. Jahrhunderts sowie die Archive der eingemeindeten Teilorte Berkheim, Hegensberg/Kimmichsweiler, Oberesslingen und Zell. Die Archivbibliothek zählt mehr als 20 000 Bände.
Die größte Herausforderung ist die fortschreitende Digitalisierung nicht zuletzt in Amtsgeschäften. „Wir müssen unseren gesetzlichen Auftrag zur dauernden Erhaltung der digitalen Daten der Kommune auch in Zukunft erfüllen“, ließ Halbekann jüngst den Kulturausschuss wissen. „Bei analogen Akten können wir warten, bis sie uns angeboten werden. Bei digitalen Akten muss man schon bei deren Entstehung an die Voraussetzungen für deren fachgerechte und dauerhafte spätere Archivierung denken.“ Dafür ist ein konsequenter Austausch mit anderen Abteilungen der Verwaltung wie der Digitalisierungsstelle, der IT-Abteilung oder den jeweiligen Fachämtern nötig, um die zahlreichen komplexen Fragen von der Kostenverteilung über die Bewertung bis hin zur Speicherung der Archivalien zu klären.
Dass 2020 ein Facharchivar für Fragen der Digitalisierung von Archivgut und zum Aufbau von Strukturen für die digitale Langzeitarchivierung eingestellt wurde, hat manches erleichtert. Bei der Digitalisierung analoger Archivbestände hat das Stadtarchiv auch mit Mitteln aus der Coronahilfe ein erstes Pilotprojekt zur Digitalisierung der reichsstädtischen Ratsprotokolle realisiert. „Insgesamt werden diese Komplexe zukünftig noch weiter an Bedeutung gewinnen, während auf lange Sicht außerdem sämtliche Anforderungen an den Umgang mit analogem Archivgut unverändert bestehen bleiben“, betonte Halbekann im Kulturausschuss, wo die Arbeit des Stadtarchivs ungeteilte Anerkennung fand. Der Aufwand für die Archivierung digitaler Bestände wird derweil nicht geringer. Das Archiv- und Bibliotheksgut wird verwahrt, bei Bedarf konservatorisch behandelt, erschlossen und auf Wunsch – soweit dies rechtliche und andere Vorgaben erlauben – in den Lesesälen des Stadtarchivs zur Nutzung bereitgestellt. Hinzu kommen jährlich mehr als 1000 unterschiedlichste und teils durchaus komplexe Anfragen von Bürgerinnen, Bürgern und Forschenden, die beantwortet werden wollen.
Mit etwas mehr als fünfeinhalb Personalstellen ist das Esslinger Stadtarchiv personell nicht üppig ausgestattet – zumal man als „kommunales Kompetenzzentrum für Stadtgeschichte“ eine Fülle von Verpflichtungen hat. Zum Aufgabenkatalog gehört die „Förderung der Erforschung und Kenntnis der Stadt-, Orts- und Heimatgeschichte“. Durch eigene oder gemeinsam mit Partnern organisierte stadtgeschichtliche Projekte wie die Reihe „52 x Esslingen und der Erste Weltkrieg“ oder vermehrte Beiträge in sozialen Medien, Vorträge und andere Veranstaltungen wie zuletzt beim Tag des offenen Denkmals setzen Joachim Halbekann und sein Team Akzente, die wissenschaftliche Zeitschrift „Esslinger Studien“ beleuchtet wichtige Aspekte der lokalen Historie. Und der Stadtarchivar denkt bereits weiter: „Es wäre wünschenswert, zum Stadtjubiläum 2027 eine neue, nach aktuellen wissenschaftlichen Methoden erarbeitete ausführliche Stadtgeschichte zu haben. Für eine Stadt wie Esslingen wäre das sogar dringend erforderlich“, findet Halbekann.