Foto: Roberto Bulgrin
Zufrieden lässt Jochen Clauß den Blick über die Mettinger Weinberge schweifen. Die Reben stünden besser da, als der heiße und trockene Sommer erwarten ließ. „Der letzte Regen hat ihnen gut getan“, stellt der Wengerter vom Teamwerk Esslingen fest. Das Potenzial für einen „guten bis sehr guten“ Weinjahrgang 2022 sei vorhanden. „Aber die Bedingungen müssen weiterhin stimmen“, fügt das Vorstandsmitglied der Genossenschaft rasch noch hinzu.
Deren 100 Mitglieder seien jedenfalls „guter Dinge“. Sie stünden bereits in den Startlöchern, um die insgesamt 72 Hektar Rebfläche abzuernten. Voraussichtlich werde man in den nächsten zehn Tagen mit der Lese der frühen Sorten beginnen, der genaue Termin werde Anfang kommender Woche festgelegt, kündigt Clauß an. Den Trauben möchte man gern noch etwas Zeit zum Reifen geben. „Wir müssen den richtigen Zeitpunkt erwischen. So können wir die Qualität beeinflussen“, erklärt er. Clauß und seine Mitstreiter hoffen noch auf ein paar warme Tage und kühlere Nächte, „das wäre optimal für die Aromabildung in den Beeren“. Dauerniederschlag wünschen sich die Wengerter hingegen nicht mehr.
Für den Weinbau waren die Wachstumsbedingungen in den ersten Monaten des Jahres fast ideal, sagt Clauß zurückblickend. „Es gab keine Spätfröste, der Regen war ausreichend, die Triebe konnten sich daher gut entwickeln. Auch Pilzbefall war kein großes Thema, wir mussten nur wenig Pflanzenschutzmittel einsetzen.“ Und die seit Juli anhaltende Trockenheit hätte den älteren Reben nicht so viel ausgemacht, denn „sie wurzeln tief“. An anderer Stelle wurde gezielt nachgeholfen, schon vor Jahren haben die Esslinger Wengerter eigens in einigen Lagen Schläuche für die Tröpfchenbewässerung verlegt. Zudem setzt man zunehmend auf Rebsorten, die ein wärmeres Klima mögen: Syrah, Merlot und Cabernet Sauvignon beispielsweise.
Zur Qualität des Weinjahrgangs 2022 ließe sich noch nichts Konkretes sagen, räumt Clauß ein. Die Erwartungen für Rotweine und Weißweine seien unterschiedlich. Erste Reifemessungen in der vergangenen Woche aber geben Anlass zu Optimismus. Sowohl der Säuregehalt als auch die Süße der Trauben hätten sich zu diesem Zeitpunkt „in einem optimalen Bereich“ befunden, berichtet Clauß. Die Traubenmenge sei ebenfalls „sehr schön“. Wie viel davon letztendlich im Fass landen wird, lasse sich schwer abschätzen. Die Beeren seien aufgrund der fehlenden Feuchtigkeit etwas kleiner als sonst. Dennoch rechnen die „Teamwerker“ in diesem Jahr nicht mit gravierenden Ertragseinbußen. Zumindest nicht, „wenn die Bedingungen weiterhin stimmen“, schiebt Clauß ein zweites Mal einschränkend hinterher.
Freilich: Der Hitzesommer hat deutliche Spuren in den Weinbergen hinterlassen. Vor allem der Trollinger, mit 15 Hektar Anbaufläche noch immer die wichtigste Rebsorte der Esslinger Wengerter, hatte es schwer. „Er ist empfindlich“, sagt Clauß und zeigt auf einen Hang mit jungen Pflanzen, deren wenige Blätter kraftlos und blassgrün herunterhängen. Sie leiden sichtlich unter dem Wassermangel. Einige Trauben haben Sonnenbrand, andere sind ausgetrocknet und verschrumpelt, „weil der Stock Feuchtigkeit aus den Trauben herauszieht“, erläutert der Wengerter. In sehr stark gestressten Weinbergen müssten deshalb Trauben entfernt werden, um die Pflanzen zu entlasten oder am Leben zu erhalten.
Die gelbe bis rostbraune Blätterfärbung mancher Rebe, die ein wenig an Tigerstreifen erinnert, habe allerdings nichts mit dem Extremwetter in diesem Jahr zu tun. Wohl aber mit dem Klimawandel, erläutert Clauß: „Es handelt sich hierbei um die durch Pilze ausgelöste Esca-Krankheit, die sich leider zunehmend ausbreitet.“ Heilbar sei Esca bislang nicht. Und deshalb sorgt sich der Esslinger Wengerter: Die Forschung gehe davon aus, dass in jedem Jahr ein bis fünf Prozent der Reben betroffen sein könnten und diese dann absterben, berichtet Clauß. Von einem anderen gefürchteten Schädling hingegen sei man verschont geblieben: Die feuchtigkeitsliebende Kirschessigfliege habe sich von den Weinbergen fern gehalten. Trockenheit vertrage das Insekt sehr schlecht.
Wie in den Vorjahren rechnen die Esslinger Weingärtner mit insgesamt 20 bis 23 Lesetagen. Rund 400 Helfer, schätzt Clauß, werden dann im Einsatz sein. Vor ihnen liegt schweißtreibende Arbeit: Gut ein Drittel der Anbaufläche sind terrassierte Steillagen, in denen die Trauben ausschließlich per Hand geerntet werden müssen. Welche Sorte in welcher Lage an welchem Tag gelesen wird, lege man kurzfristig fest. Denn manches, so wird Clauß nicht müde zu betonen, entscheide sich eben erst auf der Zielgeraden.