Foto: Roberto Bulgrin
Wer aktuell eine Wohnung in der Region sucht, hat schlechte Karten. Der Markt ist leer gefegt, die Preise steigen ungebremst – und ein Ende ist nicht in Sicht. Baugrundstücke und Immobilien sind für viele inzwischen unerschwinglich und auch die Mieten klettern immer weiter in die Höhe. Esslingen ist da keine Ausnahme: Auch hier herrscht seit Jahren Wohnungsnot. Weil keine Trendumkehr erkennbar ist, will die Stadt nun mit einer neuen Strategie gegenlenken. Dabei will das Rathaus vor allem stärker steuern, was wo gebaut wird – und wieder mehr selbst bauen. In einem ersten Aufschlag hat die Anfang des Jahres neu gebildete städtische Stabsstelle Wohnen ein Strategiepapier erarbeitet, das in der jüngsten Sitzung des Gemeinderats einstimmig abgesegnet wurde. In dem Papier wird ein Bündel von neuen Instrumenten vorgeschlagen, mit denen mehr bezahlbarer Wohnraum geschaffen und so der Wohnungsmarkt entspannt werden soll. Im Kern geht es dabei um einen Paradigmenwechsel: Die Stadt will wieder stärker zu einem steuernden Akteur auf dem Wohnungsmarkt werden. Das Thema müsse dringend angegangen werden, betont der Oberbürgermeister Matthias Klopfer: „Die Rahmenbedingungen in unserer Stadt wie die topografische Lage und gesellschaftliche Entwicklungen wie der demografische Wandel zwingen uns als Stadt zum Handeln, um auch perspektivisch noch leistbaren Wohnraum für alle Teile der Bevölkerung zu haben.“ Das Strategiepapier zeige erste Schritte zu einer neuen bedarfsorientierten Wohnungspolitik auf, erklärt Bürgermeister Yalcin Bayraktar, in dessen Verantwortung die Stabsstelle Wohnen fällt. Gunnar Seelow, Leiter der Stabsstelle Wohnen, betont: „Die Situation verschärft sich stetig.“ Man habe aktuell mit einer Vielzahl von Schwierigkeiten zu kämpfen, die die Wohnkosten weiter in die Höhe treiben: Neben Preissteigerungen bei Energie und Rohstoffen sorgten auch der Fachkräftemangel, fehlendes Bauland, Bodenspekulationen und die Inflation für steigende Bodenpreise, Mietpreise und Nebenkosten. Nach den neuesten Zahlen, die sich allerdings auf 2021 bezögen, koste ein Quadratmeter Wohnraum im Neubau 6000 Euro – das entspreche einer Steigerung von 20 Prozent innerhalb eines Jahres. Angesichts dieser Entwicklungen sei klar: „Wir wollen hier stärker steuern“, so Seelow. Das bedeute einen Paradigmenwechsel in der städtischen Wohnbaupolitik – unter anderem hin zu mehr städtischem Eigentum. Mit dem bisherigen Wohnraumversorgungskonzept komme man nicht mehr weiter – auch weil die Bindungsfristen für Sozialwohnungen schon nach 15 Jahren ausliefen. Zudem wolle man insgesamt den Instrumentenkasten erweitern und neue Ansätze ausprobieren. Auch der Aufbau einer städtischen Wohnbaugesellschaft soll geprüft werden. Im Übrigen sollen bei künftigen Projekten der spätere Mietpreis sowie die Einbettung in das jeweilige Quartier eine größere Rolle spielen als bisher. Zudem muss man laut Seelow im Blick haben, welche Wohnungen in Zukunft gefragt sein werden – etwa mehr barrierefreie Einheiten angesichts des demografischen Wandels. Wichtig sei: „Unsere Zielgruppe ist die gesamte Esslinger Bevölkerung“, so Seelow. Schließlich sei die Wohnungsnot ein Problem, das bis weit in die Mittelschicht vorgedrungen sei. Im Gemeinderat kam der geplante Strategiewechsel in der Wohnbaupolitik gut an – auch wenn einige Stadträte konkrete Zahlen und Vorhaben vermissten. Carmen Tittel, Fraktionschefin der Grünen, erklärte: „Das Strategiepapier weist in die richtige Richtung.“ Schließlich sei bezahlbares Wohnen ein soziales Grundbedürfnis. Neben dem Gemeinwohl müssten beim Wohnungsbau künftig aber auch Energieeffizienz und Nachhaltigkeit im Fokus stehen. Auch Christa Müller (SPD) begrüßte den Paradigmenwechsel ausdrücklich: „Wir gehen die neuen Wege der Esslinger Wohnraumentwicklung gern mit.“ Ähnlich äußerte sich Annette Silberhorn-Hemminger, Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler. Gleichwohl gab sie zu bedenken, dass man nicht nur bezahlbaren Wohnraum, sondern auch bezahlbaren Wohnbau brauche – und schauen müsse, was die Stadt sich leisten könne. Ihr fehlten zudem konkrete Zahlen im Strategiepapier – ebenso wie Sven Kobbelt (FDP). Kobbelt monierte zudem: „Ich sehe das eher als Aufgabenpapier, eine Strategie ist das noch nicht.“ Zudem fehle ihm die Fantasie, wie die Pläne umzusetzen seien: „Das kostet Zeit und Geld, beides haben wir aktuell nicht.“ Karin Pflüger (CDU) lobte den Vorstoß, sagte aber: „Die neuen Wege sind allesamt gut, aber noch nicht ausgereift.“ Martin Auerbach (Linke) zeigte sich hocherfreut über die neuen Ansätze, ebenso Dilek Toy (FÜR), die aber ebenfalls konkretere Zahlen vermisste. Auch das Wohnraumversorgungskonzept selbst soll neu ausgerichtet werden. Generell will die Stadt künftig bei neuen Wohnbauvorhaben den Blick verstärkt auf eine gute Einbettung ins Umfeld sowie eine gemeinwohlorientierte Quartiersentwicklung legen. Zudem will man vor allem mit lokalen Akteuren der Wohnungswirtschaft zusammenarbeiten und die Vergabe von Flächen nach quartiersbezogenen, ganzheitlichen und nachhaltigen Kriterien gestalten. Zusätzlich soll es eine Wohnungstauschbörse geben, ferner sollen die Wiedervermietungsprämie aus dem Förderprogramm des Landes aktiviert und das Zweckentfremdungsverbot für Wohnraum, das der Gemeinderat beschlossen hat, umgesetzt werden.