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Seite 3 Redaktion

Ein offenes Ohr bei belastenden Problemen

Foto: Roberto Bulgrin

Lange Zeit ging alles gut. Die Studentin erhielt eine monatliche Unterstützung von ihren Eltern und hatte einen Nebenjob in der Gastronomie – damit kam sie finanziell bestens über die Runden. Doch Corona veränderte alles. Der Nebenjob fiel weg, das Geld fehlte, Miete und Lebensunterhalt konnten kaum noch bestritten werden. Ein Fall aus der Praxis des Beratungsangebotes  „Orte des Zuhörens“. Oft müssen die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter bei  Geldproblemen weiterhelfen. Aber es kommen auch Menschen  mit  anderen Anliegen in die Sprechstunden: Konflikte in der Partnerschaft, Schwierigkeiten mit Behörden, Einsamkeit, Krankheit, Unzufriedenheit mit dem Job, Überforderung. Wichtig ist dann vor allem  – zuhören, sich Zeit nehmen, da sein.  Seit 2009 bietet die Caritas gemeinsam mit der katholischen Gesamtkirchengemeinde Esslingen und dem Dekanat Esslingen-Nürtingen diesen kostenlosen Service in Esslingen und Kirchheim an. Nun hat es einen personellen Wechsel gegeben: Seit Jahresbeginn ist Anniko Benedek als Nachfolgerin von Ann-Kathrin Huber als hauptamtliche Mitarbeiterin für die Projektkoordination zuständig.
Sie berichtet von einem weiteren Schicksal aus der Arbeit von „Orte des Zuhörens“:  Einer  alleinerziehenden Mutter wuchs alles über den Kopf. Ausbildung, Kinder, das eigene Leben – irgendwie hatte es immer geklappt. Doch nun wird ihr alles zu viel. Ihr Antrag auf Sozialhilfe wurde abgelehnt, die Kosten für Miete und Kita steigen, das Geld reicht  nicht. Die Mitarbeitenden von „Orte des Zuhörens“ helfen, sprechen mit dem Sozialamt, dem Jobcenter oder der Kita und suchen nach finanziellen Lösungen. 15  aktive und vier neue Ehrenamtliche sind in Esslingen und Kirchheim im Einsatz und hören sich stets in Zweier-Teams in bis zu 40-minütigen Gesprächen die Probleme ihrer Besucher an. Die Berater-Duos haben sich laut Sabrina Bayer von der katholischen Gesamtkirchengemeinde Kirchheim  bewährt. Die Doppel-Präsenz  wirke  nicht einschüchternd.  Die   Klienten würden von der größeren Kompetenz, dem speziellen Einzelwissen und den unterschiedlichen Kenntnissen der Berater-Duos profitieren.
Die Ehrenamtlichen werden nicht ins kalte Wasser geworfen. Sie werden in  Schulungen auf ihre Aufgabe vorbereitet und können sich in Gesprächen alle sechs bis acht Wochen austauschen. Die engagierten Zuhörer  geben aber nicht nur, sondern bekommen auch viel für ihren Einsatz zurück,  betont Sabrina Bayer. Die Engagierten erweiterten ihren Horizont, hätten Begegnungen quer durch alle soziale Schichten, verbesserten ihre Problemlösungskompetenzen  und  hätten einen geschärften, sensibilisierten Blick auf viele Themenfelder.
Denn sie werden mit vielen Problemen konfrontiert. So kam eine völlig verzweifelte Seniorin in die Sprechstunde, berichtet Anniko Benedek. Sie stritt sich nur noch mit ihrem Lebensgefährten, wollte  weg von ihm und endlich ausziehen. Doch eine eigene Wohnung konnte sie sich von ihrer kleinen Rente nicht leisten. Was tun? Die Mitarbeitenden von „Orte des Zuhörens“  können mit ihren Kontakten, eigenen Netzwerken, einer Vermittlung an weiterführende Stellen, praktischer Lebenshilfe oder  Anrufen bei Behörden weiterhelfen.
Für die Gewinnung, Qualifizierung, Begleitung und Koordinierung dieser ehrenamtlich Zuhörenden ist  Anniko Benedek zuständig. Die 42-Jährige wurde in der Region Siebenbürgen im Zentrum  Rumäniens geboren, studierte Sozialpädagogik in Bozen in Südtirol und sammelte danach in der Arbeit mit obdachlosen Frauen,  der Migrationsberatung,  der Ehrenamtskoordination oder der interkulturellen Mediation berufliche Erfahrungen. 2013 kam sie als Mitarbeiterin der Caritas nach Stuttgart, und seit Jahresanfang kümmert sie sich um „Orte des Zuhörens“. Sie sei immer in kirchlichen Diensten gestanden, berichtet sie.  Darum habe sie nun auch ein Fernstudium der Theologie in Paderborn begonnen. 
„Orte des Zuhörens“ wendet sich an  Menschen in Notsituationen. Doch einmal kam  ein   alleinerziehender Vater in die  Sprechstunde.   Ein konkretes Problem plagte ihn  zwar nicht, aber  der Kontakt mit den Mitarbeitenden  tat ihm sichtbar gut.   60 Beratungen wurden laut Petra Gauch von der Leitung des Caritas-Zentrums Esslingen im Vorjahr an den drei Standorten, im Caritas-Gebäude und bei St. Paul in  Mettinger Straße sowie im Mehrgenerationenhaus in der Pliensauvorstadt, durchgeführt. In Kirchheim waren es 2021 am Standort  in der Nähe von St. Ulrich 14 Erstberatungen gewesen. Corona habe den Beratungsbedarf  gesteigert, so Petra Gauch: „Finanzielle Notlagen haben sich verschärft. Durch die schlechte Erreichbarkeit vieler Ämter konnten häufig Fristen nicht eingehalten oder Hilfen organisiert werden. Das hat die Menschen spürbar an ihre Grenzen gebracht.“