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Die Lage scheint verzwickt: In wenigen Wochen, am 15 März, wird die einrichtungsbezogene Impfpflicht für Beschäftigte in Gesundheitsberufen in Kraft gesetzt. Das bedeutet, dass die Betroffenen bis zu diesem Zeitraum bei ihren Arbeitgebern nachweisen müssen, „dass sie geimpft, genesen sind oder aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können“, wie das Bundesgesundheitsministerium mitteilt. Eine Umfrage unter Einrichtungen im Kreis Esslingen offenbart nun, dass die meisten dieser Regelung positiv gegenüberstehen.
Allerdings bringt sie auch einen Nachteil mit sich, der das Gesundheits- und Pflegesystem schwächen könnte. Erst vor wenigen Tagen haben in der Medius-Klinik in Ruit zwei Hebammen gekündigt, weil sie sich nicht immunisieren lassen wollten, wie eine Klinik-Sprecherin bestätigte. Personelle Engpässe gebe es deshalb nicht. Bei den beiden Frauen, die jeweils eine Halbzeitstelle besetzten, handele es sich um die bislang einzigen Kündigungen aus diesem Grund. Doch im Kreis könnten weitere folgen.
Das bereitet Matthias Ziegler, dem Geschäftsführer des Klinikums Esslingen, Sorgen. Hintergrund der Pflicht ist, dass Patienten und Pflegebedürftige besser vor einer Covid-19-Infektion geschützt werden. „Wir haben aber kein Problem, was das betrifft“, stellt Ziegler fest. Generell herrschen in Kliniken hohe Sicherheits- und Hygienestandards. Die deutliche Mehrheit der Mitarbeiter im Klinikum, 93 Prozent, sind geimpft. Und die Übrigen, die nicht immunisiert sind, würden täglich getestet. „Unser Ziel ist es, durch die Maßnahme keine Mitarbeitenden zu verlieren, die wir alle dringend brauchen“, sagt Ziegler. Zwar rechne er damit, dass sich der ein oder andere in Beratungsgesprächen überzeugen lässt. Aber dennoch sei zu befürchten, dass Mitarbeitende dem Klinikum den Rücken kehren werden. Die Medius-Kliniken, die vom Landkreis betrieben werden, kritisieren die Kommunikation des Bundes: „Wie alle Beteiligten sind wir mit einer unklaren Situation konfrontiert, da keine Vorgaben für die Umsetzung vorliegen“, sagt die Sprecherin Iris Weichsel.
Neben den Krankenhäusern tritt diese Pflicht auch in den Arztpraxen der Region in Kraft. Marc Meinikheim betreibt eine Praxis für Gastroenterologie in Esslingen und ist Vorsitzender der Kreisärzteschaft Esslingen. „Die Kreisärzteschaft und ich persönlich unterstützen die beruflich und einrichtungsbezogene Impfpflicht in großen Teilen“, sagt er. Seiner Kenntnis nach gebe es im Landkreis nur noch wenige Beschäftigte in Praxen, die nicht geimpft seien. Einige Arbeitgeber hätten eine Immunisierung von ihren Angestellten bereits gefordert und schon im vergangenen Jahr Kündigungen ausgesprochen. Über die Personen, die sich nicht impfen lassen wollen, sagt Meinikheim: „Sicherlich sind diesen Menschen die Gründe für eine Impfpflicht sehr schwer vermittelbar, wenn auf der anderen Seite Patienten ohne Test und ohne Impfpflicht zu jeder Zeit die Praxen fluten dürfen.“
Wer der Impfpflicht nicht folgt, darf in diesen Berufsgruppen nicht beschäftigt werden – und muss sich beruflich umorientieren. Die Agenturen für Arbeit in Stuttgart und Göppingen, die auch für den Landkreis Esslingen zuständig sind, haben in den vergangenen Wochen einen „erhöhten Zugang von Kunden aus Pflegeberufen festgestellt“, wie eine Sprecherin der Agentur in Stuttgart berichtet. Dabei müsse man aber stark differenzieren, weil einige Informationen statistisch nicht erfasst würden. So ist zum Beispiel nicht geklärt, ob all diese Personen auch in Betrieben beschäftigt waren, die der Impfpflicht unterliegen. Auch über ihre Hintergründe liegen keine Informationen vor. Kerstin Fickus, die Sprecherin der Arbeitsagentur in Göppingen, fügt hinzu: „Durch die zahlreichen Anrufe merken wir aber schon, dass etliche Beschäftigte aus der Pflege unsicher in Bezug auf die Auswirkungen einer etwaigen Impfpflicht in ihrer Branche sind und sich informieren möchten.“ Einige der Kunden meldeten sich sicherheitshalber arbeitssuchend, andere wiederum nicht, weil ihnen noch nicht gekündigt wurde. „Es ist also davon auszugehen, dass noch weitere Meldungen eingehen werden und wegen der Impfpflicht Teile des Arbeitskräftepotenzials verloren gehen werden“, sagt Fickus.
Aus Sicht des Geschäftsführers der Sozialstation Esslingen, Johannes Sipple, ist eine Impfpflicht im Gesundheitssektor sinnvoll. „Wir sollten da als gutes Vorbild vorangehen“, sagt er. Aber auch die Sozialstation stößt bei der Umsetzung auf Widerstände. Etwa fünf Prozent der rund 250 Mitarbeitenden sind ungeimpft. Bei fünf Pflegekräften seien sie an dem Punkt, an dem sie nicht mehr über die gesundheitlichen Vorteile der Impfung aufklärten, sondern die arbeitsrechtlichen Konsequenzen aufzeigten, wenn sie sich nicht immunisieren lassen. „Ich bin da ein Stück weit ratlos“, sagt Sipple.
Zu den Fachkräften kämen die Ungelernten, die problemlos in anderen Berufen unterkämen. Weil sie jedoch ständig händeringend nach Personal suchen, versuchen sie nun, diese Mitarbeitenden zu halten. Und: „Bei aller Klarheit hatten wir immer ein offenes Ohr für die Ängste und Sorgen der Ungeimpften – und das werden wir auch in Zukunft haben“, sagt Sipple.