Die Boote heißen „Siesta“, „Omma“ und „Nirvana“ und dümpeln gemächlich im Neckar, während eine Schwanenfamilie ihrem Nachwuchs das Schwimmen beibringt. Am gegenüberliegenden Ufer steht ein Angler in der Sonne – im Hintergrund rauscht der Verkehr auf der B 10 und aus dem Industriegebiet Oberesslingen/Zell ist ab und zu das Hupen eines Lastwagens zu hören. Doch auf dem „Hechtkopf“ gehen die Uhren anders. Auf der künstlich aufgeschütteten Insel ist seit 1975 der Motoryachtclub (MYC) Esslingen beheimatet und hat das Gelände im Laufe der Zeit mit einem Vereinsheim, einem Kinderspielplatz, sanitären Anlagen, Stegen, Slipanlage und Schiffskran zu einem kleinen Idyll bei Flusskilometer 196 – gezählt wird beim Neckar ab der Mündung bei Mannheim flussaufwärts in Richtung Quelle – umgestaltet.
„Dass der Verein damals Yachtclub genannt worden ist, finde ich schon etwas überzogen“, sagt der Vereinsvorsitzende Robert Kreidenweiß. Vor allem da die Gründer damals Ende der 1960er-Jahre allesamt nur Boote mit einer maximalen Länge von 3,20 Meter besaßen: „Und das ist von einer Yacht schließlich meilenweit entfernt“, sagt Kreidenweiß und grinst. Aber was auch immer die Altvorderen damals bei der Namensgebung geritten hat – als Elite verstehen sich die MYC-Mitglieder bis heute nicht, im Gegenteil: „Bei uns gibt es keine Snobs. Wir sind nicht überheblich sondern ganz normale Leute aus allen möglichen Schichten – vom Arbeiter über Angestellte bis hin zum Selbstständigen und alle Normalverdiener“, bekräftigt Kreidenweiß. Was im übrigen auch das Angenehme am Neckar sei, an anderen deutschen Flüssen, dem Rhein etwa, sei das oft anders: „Da geht es in den Clubs oft ganz schön elitär zu.“
Inzwischen haben zwei Wasserwanderer am Gästesteg festgemacht und lassen sich von MYC-Hafenmeister Roland Krietsch einweisen. Die Gäste bleiben meist mehrere Tage – manche schauen sich die Stadt an, manche bleiben auf ihrem Boot. Die meisten Wasserwanderer haben Fahrräder an Bord, um ein gewisses Maß an Mobilität zu gewährleisten. Wie immer haben sich die beiden Wasserwanderer vorher telefonisch angemeldet, für einen kleinen Obulus, der sich nach der Länge ihres Bootes richtet (ein Euro pro Meter), dürfen sie die Anlagen des MYC nutzen.
Seit der Pandemie seien mehr Menschen auf dem Fluss unterwegs, sagt Kreidenweiß: „Man merkt, dass es seit Corona nicht mehr so viele Möglichkeiten gibt und viele bleiben angesichts der Krise lieber im eigenen Land.“ Unter den Wasserwanderern ist der Neckar beliebt – die Geschwindigkeitsbegrenzung für Motorboote liegt bei 18 Stundenkilometern, in Schleusenkanälen bei 14 Stundenkilometern. Das macht das Reisen gemütlich – und entschleunigt.
Ein wenig Sorge bereitet Krietsch und Kreidenweiß, dass der Neckar seit der Coronakrise an Reiz gewonnen hat. „Man braucht keine Ahnung von der Materie zu haben, kauft sich ein Boot, ein Kanu oder ein Stand-Up-Paddle und geht auf den Fluss“, sagt Kreideweiß. Rechtlich ist das in den meisten Bereichen in Ordnung – sogar mit Motor. Laut Wasserschutzpolizei dürfen auf dem Neckar Personen ab dem 16. Lebensjahr Motorboote von weniger als 20 Metern Länge, deren Leistung nicht mehr als 15 PS beträgt, führerscheinfrei fahren. Über 15 PS ist ein Sportbootführerschein erforderlich. Allerdings führt die Unkenntnis bei den Anfängern auf dem Fluss immer öfter zu brenzligen Situationen. „Vor allem bei Begegnungen mit der Berufsschifffahrt. Große Frachter haben einen riesigen toten Winkel und ihr Radar erfasst zum Beispiel weder Schlauchboote noch Stand-Up-Paddler“, warnt Kreidenweiß.
Immerhin: Die ebenfalls auf dem Hechtkopf ansässige Sportbootschule Schaal vermeldet seit einiger Zeit steigende Schülerzahlen – es scheint also doch einigen Leuten ein Anliegen zu sein, zumindest das Motorbootfahren von der Pike auf zu lernen. „Das Interesse am Motorbootführerschein steigt“, bestätigt Kreideweiß. Ebenso ist die Nachfrage nach Liegeplätzen am Neckar hoch, kann aber oft nicht bedient werden. So sind auch beim MYC alle 30 vereinseigenen Liegeplätze aktuell von Mitgliedern belegt. Immer wieder gibt es Anfragen, ob beim MYC Boote vermietet werden. Auch hier müssen die Esslinger passen. „Das sind alles Eignerboote und das macht eigentlich niemand“, erklärt der Vorsitzende.
Anders sieht es beim Nachwuchs aus: Der MYC unterhält als einer der wenigen Clubs am Neckar eine eigene Jugendgruppe, die mit vereinseigenen Booten trainiert und auf nationaler und internationaler Ebene im Motorsportbootslalom aktiv ist. „Das geht auch als blutiger Anfänger, einfach über die Homepage Kontakt aufnehmen und ein Probetraining vereinbaren.“
Der Motoryachtclub unterhält auch eine Wasserski-Strecke
Der Motoryachtclub (MYC) unterhält eine von insgesamt drei Wasserski-Strecken auf dem Neckar. Sonn- und feiertags steht sie ab 13 Uhr Besuchern zu Verfügung. Auf der knapp zwei Kilometer langen Strecke ist die Geschwindigkeitsbegrenzung aufgehoben. Kommen kann nach Voranmeldung jeder – ein Boot und das übrige Equipment müssen selbst mitgebracht werden. Für das Slippen des Bootes wird ein kleiner Unkostenbeitrag – gestaffelt nach Motorleistung – erhoben.