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Seite 3 Redaktion

Ein Spaziergang entlang der Idylle

Foto: Johannes M. Fischer

Natürlich hat Idylle einen Namen, auch wenn sie in jeder Stadt anders heißt. In Esslingen ist es – nein, es ist nicht die Maille. Der Ort ist zwiespältig. Interessant für Leute-Studien, ein Ort der Fröhlichkeit, aber nicht nur. Der Marktplatz ist es auch nicht. So hübsch sich das Wohnzimmer von Esslingen auch präsentiert, der Fußboden passt einfach nicht. Ein paar Meter weiter auf dem Rathausplatz könnte die Idylle zu Hause sein, aber manchmal sieht man einen Bürgermeister zwischen neuem und altem Rathaus hin- und herflitzen, und da fallen einem gleich die vielen Probleme ein, die so eine Stadt mit engen Straßen, vielen Autos und wenig erschwinglichem Wohnraum zu bieten hat. Nein, Idylle definiert sich anders. Die Idylle liegt draußen, wo Menschen wohnen, die eigentlich gar keine Probleme haben können, so schön und so ruhig ist es dort. Könnte sich also die Idylle eine Ecke in Esslingen aussuchen, die Stadtteile am Berg wären aussichtsreiche Kandidaten.
Doch diese scheinbare Losgelöstheit vom sorgenvollen Leben ist nicht ohne Schattenseite: Nicht nur das schwarze Schaf in der Familie wird oft ignoriert, sondern auch das Sorgloskind. Die Ortsteile am Berg werden, so der Eindruck von Einwohnern, von der Stadtpolitik und den Ämtern gerne mal übersehen. Lange Zeit mussten sie um eine größere ordentliche Sporthalle kämpfen, das war so ein Punkt, bei dem man sich übergangen fühlte. Allerdings ist dieses Beispiel auch schon eine Weile her. Vor etwa zehn Jahren wurde die Sporthalle an der Römerstraße eingeweiht – sie gehört zu den schönsten im ganzen Landkreis. Seitdem ist auch in Sachen Sport die Welt wieder voller Ordnung.
„Heile Welt? Nein, hier haben wir auch unsere Probleme“, schüttelt Ralf Morsch den Kopf. Morsch ist der Vorsitzende des Vereins „Wir vom Berg“. Natürlich! Nicht jeder hier im grünen Norden wird von sich behaupten, er sei reich oder wohlsituiert. Schöne Villen, die ebenso erhaben wie diskret grüßen, und „normale“ mittelständige Eigentums- und Mehrfamilienhäuser wechseln sich ab. Aber wirklich ins Auge springen persönliche oder strukturell bedingte Probleme nicht. Es ist sauber, es gibt keinen Lärm und, in einer Autostadt wie Essllingen besonders wichtig, es gibt recht viel Platz für alle: für die dicken Autos, für den Zweit- und für den Drittwagen, auch, weil es viele Garagen gibt. Und aus diesen und vielen weiteren Gründen könnten Ortsteile wie Hegensberg, Liebersbronn, Kimmichsweiler und Oberhof sehr wohl von sich behaupten, auf der Sonnenseite des Lebens zu liegen, wenn es denn einen solchen Wettbewerb „idyllischster Ort der Stadt“ tatsächlich gäbe. Zu den adretten Häusern, egal ob groß oder klein, kommt das viele Grün. Prominente Naherholungsgebiete von Esslingen entlang der Römerstraße sind nicht weit. Außerdem haben viele Terrassen und Balkone einen schönen Ausblick auf die Höhenlage, die sich auf der anderen Seite des Neckars emporhebt. Berkheim, Zollberg, Ostfildern. 
Aber es lag nicht immer so viel Friedlichkeit in der Luft. Zwischen Kennenburg und Liebersbronn liegt eine historische Grenze, die über Jahrhunderte Gültigkeit hatte und keinesfalls unstrittig war. Liebersbronn war ein Teil der Reichsstadt Esslingen, während Hegensberg zu Württemberg gehörte und einen eigenen Ortsvorsteher hatte. Diese kommunale Eigenständigkeit lässt sich heute noch erkennen: Im Gegensatz zu Liebersbronn hat Kennenburg ein kleines Zentrum mit Bäckerläden, einer Apotheke, einem Schreibwarenhandel und einem Elektrogeschäft. Auch die tendenzielle Orientierung der Bewohner ist unterschiedlich: Liebersbronner bewegen sich eher in Richtung St. Bernhard und Innenstadt, während es Kennenburger oft nach Oberesslingen zieht, wenn es darum geht, Alltagsbesorgungen zu machen.
Offiziell beseitigt wurde die Staatsgrenze durch die Eingliederung der Reichsstadt Esslingen nach Württemberg in den Jahren 1802/1803. Sie läuft angeblich mitten durch eine später errichtete Kirche. Man erzählt sich, dass es noch gar nicht so lange her ist, dass Esslinger und Württemberger auf verschiedenen Seiten saßen. Aber die Grenze in den Köpfen und im kollketiven Gedächtnis bleibt ja bekanntlich sehr viel länger bestehen als die auf dem Papier, was sich unter anderem an der deutschen Wiedervereinigung von 1990 nachweisen ließe. Doch die Hochzeit der Reichsstadt und der Württemberger liegt dann doch zu lange zurück, als dass ihr noch sehr viel mehr als eine rein folkloristische Bedeutung zukommen könnte. Inzwischen hat sich die Wohnbevölkerung mehrfach ausgetauscht. Manche Menschen wollen hier einfach nur wohnen und bekommen auch nichts weiter mit von dem Gutverdiener-Neid, der ihnen zuweilen aus dem Tal entgegenschlägt. Aber viele, so Morsch, engagieren sich für ihr Quartier und organisieren Geselligkeit, etwa beim Stadtteilfest, dem Bergfest.
Liebersbronn ist der größte und grünste Stadtteil Esslingens, während Hegensberg recht dicht besielt ist. Beide Ortsteile gehen ineinander über, während die kleinen, ebenfalls sehr stark in die Natur eingebetteten Ortsteile Kimmichsweiler und Oberhof, die aus nur wenigen Straßen bestehen, auf einem anderen Hügel liegen – große Beziehungen gibt es nicht zueinander. Es ist ein Zusammenschluss auf dem Papier. Gemeinsam haben alle eine mitunter gute enge Nachbarschaft.