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SVOE-ZWIEBEL

„Das viele Kämpfen war Pflicht”

Foto: Nicole Spiegelburg

50 Jahre Sozialstation Esslingen wären ohne sie nicht denkbar. „Unsere Gründungsmutter“, nennt sie der heutige Geschäftsführer. Lore Hirrlinger selbst ist da weitaus bescheidener und möchte andere gewürdigt wissen. Mit ihren bald 95 Jahren bringt sie sich immer noch ein. Für den Ortsverband des Sozialverbands VdK, die für ihre Mitglieder immer wieder kleine Busreisen organisiert, stellt sie die Teilnehmerlisten zusammen. Nicole Spiegelburg hat sich mit ihr in ihrer luftigen Wohnung hoch über den Dächern Esslingens unterhalten.

 

Wie geht es Ihnen, Frau Hirrlinger?

Ach, das Gehen ist nicht mehr ganz so gut, seit ich mir mal das Steißbein gebrochen habe, aber der Kopf funktioniert. Ich habe ein sehr gutes Personengedächtnis und kenne die Hälfte der 1100 VdK-Ortsverbands-Mitglieder mit Namen.

 

Sie waren von Anfang an mit der Sozialstation verbunden, wie kam es dazu?

Ab 1952 gab es den Hauspflegeverein, den Vorläufer der Esslinger Sozialstation. Zu ihm bin ich über den Esslinger Frauendienst gekommen. Das war ein überparteilicher Zusammenschluss von Frauen aus der Stadt und ein richtiger Aufbruch. Wir haben uns eingemischt und gegen den Paragrafen 218 protestiert. Das war in den 50er-Jahren revolutionär.

 

Und durch Ihre Arbeit beim Hauspflegeverein entstand die Idee für die Sozialstation Esslingen?

Bei der Aktion „Essen auf Rädern“ habe ich Dr. Dieter Deuschle kennengelernt. Er war damals Rechtsrat bei der Stadt, und obwohl wir zweierlei Parteien angehörten – er CDU und ich SPD –, haben wir sehr gut zusammengearbeitet. Als wir erfuhren, dass das Land die ambulanten Dienste neu ordnen will, haben wir Anfang der 1970er Jahre direkt sämtliche Vereine und Organisationen angesprochen, die in Esslingen für Pflege und Betreuung tätig waren. Denn wir wollten eine freie und breit angelegte Trägerschaft.

 

Warum war Ihnen das wichtig?

Es gab in der Stadt in Sachen Pflege und Betreuung ja schon vieles; Krankenpflegevereine, die zum Teil 100 Jahre alt waren. All die wollten wir mitnehmen, trotz unserer unterschiedlichen Einstellungen. Als wir dann als dritte Sozialstation in Baden-Württemberg genehmigt wurden, hatten wir alles unter einem Hut: Stadt, Landkreis und die beiden Kirchen.

 

Das ist jetzt 50 Jahre her. Erfüllt Sie das Jubiläum mit Stolz?

Ach ja, mit Zufriedenheit auf jeden Fall. Ich bin froh und dankbar, dass ich es noch erleben darf und vor allem in dieser Form. Durch die 50 Jahre sind wir insgesamt ohne größere Missgeschicke gekommen, dafür aber mit viel Sachverstand der Mitarbeitenden, einem guten Betriebsklima und mancherlei Unterstützung durch Behörden und Ämter. Dass die Sozialstation Esslingen einmal so groß sein würde, hätten wir natürlich nie gedacht. Wir haben sehr klein und spartanisch begonnen.

 

Wie muss man sich die Arbeit der Sozialstation Esslingen damals vorstellen?

Wir hatten ein kleines Büro im Späth’schen Haus am Marktplatz und zwei Mitarbeiterinnen, die in Zell und Berkheim unterwegs waren, zum Teil zu Fuß oder mit dem Fahrrad. 1978 konnten wir dann schon das Haus in der Urbanstraße 4 kaufen. Das war ursprünglich eine Methodistenkirche mit einem großen Kirchensaal im Erdgeschoss. Dort hatten wir in den 80er-Jahren einen Mittagstisch und außerdem unseren Urbantreff, eine richtig schöne Begegnungsstätte mit Tanz-, Musik- und Gymnastikangeboten.

 

Aber die Sozialstation ist größer geworden…

Ja, die Krankenpflegevereine haben mit uns kooperiert, sodass wir schon Anfang der 80er-Jahre vier Außenstellen hatten. Zum Teil von den Krankenpflegevereinen betrieben, zum Teil von uns und jede verantwortlich für einen Stadtteil. Diese dezentrale Form hat sich bis heute bewährt, weil die für ihren Stadtteil zuständigen Pflegefachkräfte nicht nur die Wege, sondern auch die zu betreuenden Menschen genau kennen.

 

1997 kam die große Fusion. Wie ging das damals über die Bühne?

Das ging nicht so einfach, aber das ist verständlich. Die Krankenpflegevereine bestanden ja zum Teil an die 100 Jahre und haben ganz anders gearbeitet. Die evangelischen mit Diakonissen, die katholischen mit den Ordensschwestern. Aber diese Schwierigkeiten konnten gemeinsam mit meinen Vorstandskollegen Martin Schwesig und Pfarrer Hans Reinhard überwunden werden. Nach der Fusion waren wir schon sehr stolz, dass wir das zusammengebracht haben, weil dadurch auch der Konkurrenzdruck gar nicht so groß geworden ist.