Foto: Sozialstation Esslingen
Pflegebedürftig und trotzdem daheim – dieses Szenario möchte die Sozialstation Esslingen den Menschen im Stadtgebiet ermöglichen. Seit 50 Jahren bietet das gemeinnützige Unternehmen ambulante Pflegedienste aus einer Hand. In vielen Dingen ist es dabei seiner Zeit weit voraus. Das war schon immer so.
„Wir machen vieles anders“, meint Johannes Sipple achselzuckend. Wenn der Geschäftsführer der Sozialstation Esslingen e.V. über das Heute und Früher des Sozialunternehmens spricht, fallen immer wieder Worte wie „anders“ oder „besonders“. So zum Beispiel bei der Entstehungsgeschichte: Als die Organisation 1973 im Rahmen einer Projektförderung gegründet wurde, war Esslingen in ganz Baden-Württemberg die dritte Stadt mit einer Sozialstation. Eine Vorreiterrolle, die vor allem deshalb möglich war, weil es bereits einen Vorläufer gab: der 1952 gegründete Hauspflegeverein, der sich in erster Linie um junge Mütter kümmerte. Und während die beiden anderen baden-württembergischen Sozialstationen fest in der Hand einer Kirche waren, startete das Esslinger Modell 1973 als ökumenische Station, mit der Stadt, dem Landkreis und verschiedenen Wohlfahrtsverbänden als Trägern.
Die Geschichte der Sozialstation Esslingen ist aber auch deshalb besonders, weil sie mit vielen starken Frauen verbunden ist. Eine davon ist Lore Hirrlinger. Sie war 1973 Gründungsmitglied der Sozialstation – zunächst war sie Vize-Vorsitzende, 1988 rückte sie dann an die Spitze. Gemeinsam mit dem damaligen Rechtsrat Dieter Deuschle setzte sich die engagierte Sozialpolitikerin dafür ein, dass der Hauspflegeverein 1965 sein ambulantes Angebot um das „Essen auf Rädern“ erweiterte. Die 24 warmen Mahlzeiten kamen im Henkelmann aus Blech und mit Essgeschirr, eigenhändig ausgefahren von Lore Hirrlinger und ihren Mitstreiterinnen. Der „Menüdienst Esslingen“ – wie das Angebot heute heißt – ist damit der älteste ambulante Dienst der Sozialstation Esslingen und mit täglich 300 ausgelieferten Essen eine wichtige Säule in der Rundumversorgung (siehe Übersicht „Gut begleitet, gut betreut).
Zur Geschichte der Sozialstation Esslingen gehören außerdem die Krankenpflegevereine, die sich in Esslingen Anfang des 20. Jahrhunderts als Hilfsdienste für kranke und arme Menschen gründeten. Fast jede Kirchengemeinde hatte einen Krankenpflegeverein, und der Bedarf in der Stadtbevölkerung war groß. 1926 gab es in Esslingen bereits sechs evangelische und zwei katholische Krankenpflegevereine. Mit den evangelischen Diakonissen beziehungsweise katholischen Haubenschwestern hatten sie offiziell den Auftrag, die Pflege in den Stadtteilen zu gewährleisten. Doch, als in den 90er-Jahren Bund und Land neue Pflegerichtlinien für die Sozialen Dienste beschlossen und der Personal- und Verwaltungsaufwand immer größer wurde, sortierte sich die Pflegelandschaft in Esslingen neu: 1997 übernahm die Sozialstation Esslingen sieben der insgesamt acht Krankenpflegevereine. Mit dabei alle Mitarbeitenden und darüber hinaus die verantwortungsvolle Aufgabe, künftig die ambulante Pflege in ganz Esslingen zu stemmen.
„Eine derart große Fusion gab es sonst nirgends, und sie war nur möglich, weil Lore Hirrlinger Koalitionen über Parteigrenzen hinweg schmieden konnte“, betont Johannes Sipple. Den vielen Gegenstimmen und Befindlichkeiten setzte die SPD-Frau einen engen Schulterschluss mit Dieter Deuschle (CDU) entgegen. Unter dem neuen Namen „Diakonie- und Sozialstation“ und mit deutlich größerem Gewicht der evangelischen Kirche führte die Sozialstation ihre Arbeit fort, bis der württembergische Landesverband für Diakonie-Sozialstationen seine Satzung änderte. „Diakonie“ durfte künftig nur im Namen tragen, wer das kirchliche Arbeitsrecht umsetzte. Mit Blick auf die 250 Mitarbeitenden verzichteten Vorstand und Geschäftsführung auf den Zusatz „Diakonie“ und kehrten 2014 stattdessen zu den Wurzeln zurück: zur überkonfessionellen Sozialstation Esslingen. Ein Prozess der Selbstvergewisserung, aus dem die Sozialstation Esslingen aus Sicht von Johannes Sipple gestärkt hervorgegangen ist: „Wir sind frei und bunt, haben mehr als 30 Nationen und alle Konfessionen –genau das macht uns so besonders.“ (Von Nicole Spiegelburg)