Foto: Thomas Dietz
“Die Vergangenheit ruhen lassen, sich der Zukunft widmen!” Diesen oft zitierten Rat stellt Thomas Jüttner zu Beginn des Münsterspaziergangs am letzten Sonntag infrage, weil der Blick zurück oft auch Erkenntnisse für die gegenwärtigen Herausforderungen schenken kann. Welche Lehren die ehemalige Dominikanerkirche für uns bereit hält will Jüttner gemeinsam mit den anwesenden 15 Mitspaziergänger:innen ergründen. Beginnend im 13. Jh. wurden in Esslingen sechs Klöster, die Stadtkirche St. Dionys, die Frauenkirche und noch weitere ca. 20 Kapellen gebaut. Jüttner fragt: “Wofür hat man so viele Kirchen gebraucht? Waren die Esslinger:innen so fromm?”
Die Antworten sucht er gemeinsam mit uns in der Stadt- und Klösterentwicklung, mit besonderem Schwerpunkt auf dem Predigerkloster und der Architektur der Bettelorden. Und dabei bringt er die Steine zum Sprechen, zum Erzählen: Wir lernen die Lagerfugen unter den barocken Scheinfugen zu sehen, den Profilwechsel im Traufgesims zu erkennen und rätseln über die Kerben in den nördlichen Türlaibungen.
Jüttner führt uns in den Kirchenraum, den er mit einer riesigen Ladebox vergleicht: Auch wenn wir nur Steine vor uns haben, dieser Raum bündelt Energie, die auf uns übergehen kann, uns auflädt. Er zitiert das Bild von den “warm gebeteten” Steinen, die zu uns sprechen. Und er übersetzt für uns diese Erzählungen: Unterschiede in den Kreuzrippen, zugemauerte Türöffnungen, unterschiedliche Konsolen und Dienste, die das Gewölbe tragen…
Mit dem Steinensemble von Rückriem und den Glasfenstern von Schreiter hat die Kirche Werke von zwei bedeutenden zeitgenössischen Künstlern, die vielleicht nicht jeden Geschmack treffen, was aber auch nicht vorrangiges Ziel von Kunst ist.
Zum Abschluss im Klosterhof zieht Jüttner das Fazit: Diese Kirche hat auch nach dunkelsten Zeiten immer wieder lichte und blühende Phasen erlebt, was uns in diesen Tagen Zuversicht schenken kann.
Nächster Spaziergang 21. Mai: Die Dominikaner in Esslingen