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„Das hat er noch nie gemacht“ gilt nicht

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Die Tiertrainerin Anja Bethmann betreibt in Berkheim eine Hundeschule. Weil sie immer wieder beobachtet, dass Halter in der Öffentlichkeit Fehler begehen, hat sie ein Informationsblatt geschrieben. “Wäre das in Ordnung, wenn sie hier frei herumläuft?“, fragt Hundetrainerin Anja Bethmann den Pressebesuch. Sie steht in der Eingangstür zu ihrer Hundeschule in Berkheim und hält ihre holländische Schäferhündin Face am Halsband. „Gegenseitige Rücksicht ist für mich das Wichtigste“, sagt die Inhaberin des Hundezentrums Esslingen. Durch ihre Arbeit hat die 41-Jährige mit vielen Hunde- und Haltercharakteren zu tun. Sie weiß, welche Fehler im Umgang mit den Vierbeinern oft begangen werden. Deshalb hat Bethmann ein übersichtliches Flugblatt, eine Art Leitfaden mit dem Titel „Umgangsregeln mit dem Hund in der Öffentlichkeit“, geschrieben.
Detailliert listet sie darin acht Regeln auf, die den Alltag im öffentlichen Raum für
Hund, Halter aber auch für Spaziergänger, Jogger und Radfahrer erleichtern. Das übergeordnete Schlagwort lautet Rücksicht. „Das ist aus meiner Sicht ein wichtiges Thema“, sagt Anja Bethmann. Viele Halter wissen beispielsweise gar nicht, dass sie ihren Hund nicht einfach zu fremden Leuten hinlaufen lassen dürfen, vermutet sie. Selbst wenn man seinen Hund genau kennt und weiß, dass der nichts macht. Denn woher soll man wissen, wie die Fremden auf den Vierbeiner reagieren? Grundsätzlich gilt: „Nur wenn sich mein Hund in meinem Einflussbereich befindet und keine Leinenpflicht besteht, darf ich ihn frei laufen lassen“, sagt Bethmann.

Was passieren kann, wenn sich der Vierbeiner außerhalb des Einflussbereiches aufhält, also wenn man als Halter nicht schnell genug eingreifen kann, zeigte sich im Sommer des vergangenen Jahres in Esslingen: Erst vor wenigen Tagen berichtete unsere Zeitung über eine Hundeattacke in Krummenacker, bei der eine 59-Jährige schwerwiegende Bisswunden davongetragen hat. Zwar ist ein Angriff dieser Art eine absolute Ausnahme. Jedoch demonstriert er, was im schlimmsten Fall passieren kann, wenn der Hund unvorhersehbar getriggert und aggressiv wird.
Zwar sind die Regeln in Bethmanns bald erscheinendem Flugblatt an Hundehalter adressiert, doch zu gegenseitiger Rücksichtnahme gehören auch die Passanten, Radfahrer, Jogger und wer sonst noch auf den Waldund Spazierwegen des Landkreises unterwegs ist. Das stellt die Trainerin, die neben Face noch zwei andere Hunde hält, ebenfalls immer wieder fest. Beispielsweise sei ein ballspielendes Kind in sie hineingerannt, als Bethmann mit drei Hunden Gassi ging. „Einem Chihuahua hätte das ziemlich weh getan“, sagt die vom Veterinäramt Esslingen geprüfte und zugelassene Hundetrainerin. „Lieber Prävention als Intervention“, erklärt sie mehrfach. Das bedeutet konkret, dass Herrchen und Frauchen ihre Tiere lieber drei Mal zu viel herrufen und an die Leine nehmen sollten als einmal zu wenig – selbst bei einem gut erzogenen Hund. „Aktiv sein“, erklärt Bethmann. Im Grunde sei das wie im Straßenverkehr. Schließlich fährt man nicht einfach in eine Kreuzung hinein ohne nach
links und rechts zu schauen. „Als Halter muss ich meinen Hund stets im Auge behalten“, sagt sie. Die häufigste Ursache für Zwischenfälle sei Unachtsamkeit. „Das hat er noch nie gemacht“ lautet der Standardsatz, den Bethmann dauernd zu hören bekommt. Auch eine gute Erziehung gehört zur Prävention. „Entspannt spazieren zu gehen, das muss man sich hart erarbeiten“, sagt die Trainerin und lacht. Eine Hundeschule zu besuchen, wie Bethmann sie betreibt, ist ein Weg zu diesem Ziel. Unter anderem bietet die 41-Jährige sogenannte Hundevormittage an, bei denen die Tiere mit Artgenossen zusammenkommen und sich dadurch auch soziale Fähigkeiten aneignen – ein bisschen wie in einer Kindertagesstätte. Das Land Baden-Württemberg plant, dass Hundehalter in Zukunft einen Sachkundenachweis belegen, der umgangssprachlich als Hundeführerschein bezeichnetet wird. In mehreren Unterrichtsblöcken lernen die zukünftigen Herrchen und Frauchen, auf was bei der Haltung, Pflege und beim Gassigehen zu achten ist sowie das Verhalten ihrer Haustiere einzuschätzen. Wann der Nachweis eingeführt wird, ist noch nicht klar.
Das Erziehen eines Hundes funktioniert laut Bethmann aber auch ohne professionelle
Hilfe. „Nicht jeder Hund muss in eine Hundeschule“, sagt sie. Für die Erziehung brauche es manchmal nur gesunden Menschenverstand, Bauchgefühl und Zeit mit dem Hund. „Es gibt wirklich Menschen, ich nenne sie jetzt einfach mal Hundemenschen, die brauchen niemanden, der ihnen erklärt, wie sie mit ihrem Hund umgehen sollen.“ Das Problem ist vielmehr: Es gibt auch Leute, die ihre Fähigkeiten überschätzen.